Desillussionierend Eitelkeiten Gedankenwelten Mitmenschen

Wutkundengeständnis


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Ich bin jetzt einer von ihnen. Einer von diesen Menschen, die böse Briefe schreiben, Wutposts bei Facebook absetzen und mit Anwälten drohen und und am Ende doch nicht viel weiter sind als am Anfang. Nur frustrierter. Weil sich diejenigen, um die es geht, einfach taub stellen. Wenn ich den Kunden nicht sehe, sieht er mich sicher auch nicht. Das hat schon als Kind super funktioniert, wenn man mit den Erwachsenen Verstecken gespielt hat. Einfach Augenzuhalten.

Ich bin jetzt einer von ihnen, ich kann ihren Frust verstehen. Seit inzwischen fast fünf (fünf!) Monaten warte ich darauf, dass o2 mir erklärt, wieso sie 1,29 Euro für die “Recherche” meiner Adresse berechnen. Alles, was bisher passiert ist, ist eine Mail, in der mich o2 mich bittet – nicht lachen – ihnen meine Adresse mitzuteilen, um meine Nachfrage zu beantworten. Mehr ist nicht passiert. Auch auf mehrmalige Nachfrage nicht.

Ein anderer Fall ist die inzwischen insolvente Unister GmbH aus Leipzig bzw. deren Tochter die U-Deals GmbH. Schon vor Jahren bin ich einmal ungefragt auf deren Newsletterverteiler gelandet, angeblich, weil ich an einem Gewinnspiel teilgenommen hatte, was schlicht gelogen war. Tatsächlich hatte Unister meine Mail-Adresse bei einem Adresshändler in Österreich gekauft, was dieser mir auch schriftlich bestätigte.

Vergangene Woche bekam ich dann auf einmal erneut und aus heiterem Himmel einen Newsletter zugestellt, den ich nicht bestellt hatte. Absender: erneut eine Unister-Tochter, nämlich “ab-in-den-urlaub.de”. Meine schriftliche Nachfrage, wie es sein könne, dass ich schon wieder ungefragt auf dem Newsletter-Verteiler gelandet bin, blieb bislang unbeantwortet. Ein Anruf bei der Firma brachte mich auch nicht weiter. Der Callcentermitarbeiter beharrte darauf, wenn ich den Newsletter bekommen hätte, hätte ich ihn auch bestellt. Mehr Auskunft könne er mir nicht geben. Und nein, er wisse auch nicht, wer da zuständig sei oder an wen ich mich wenden könnte.

Ja, anscheinend bin ich jetzt einer von ihnen. Ich mag das selbst nicht, weil ich mir dabei so kleinlich vorkomme. Wie jemand, der seinen persönlichen Frieden dadurch herzustellen versucht, indem er sich mit möglichst vielen Firmen anlegt und dabei möglichst oft betont, dass er natürlich einen Anwalt in der Familie oder im Freundeskreis und/oder eine Rechtsschutzversicherung hat. Jemand der mit dem Kissen unter dem Ellbogen am Fenster sitzt und Parksünder aufschreibt. Jemand der im Internet aus Prinzip nur schlechte Bewertungen schreibt. Jemand, der so oft das Gefühl hatte, ungerecht behandelt worden zu sein, dass er nun gierig jede Möglichkeit aufsaugt, wo er endlich einmal das Recht auf seiner Seite zu wissen glaubt und nur mit den richtigen Paragraphen wedeln muss, um einmal nicht das kleine Würstchen, sondern der große Mann zu sein.

Beruflich habe ich leider immer wieder selbst mit solchen Menschen zu tun. Noch bevor sie erklärt haben, worum es eigentlich geht, jonglieren sie mit Gesetzestexten (meist den falschen) oder stoßen wüste Drohungen aus, an wen sie sich noch alles wenden und bei welchen Behörden sie ihre Beschwerde überall vortragen werden.

Manchmal ärgere ich mich über diese Menschen, meist tun sie mir leid. Wie viel Frust sich da aufgestaut haben muss, für den sie einfach kein Ventil finden. Dieses Gefühl, immer wieder vor die Wand zu laufen, weil man am Ende doch am kürzeren Hebel sitzt. Unwilkürlich muss ich dann an Kunden im Restaurant denken, die auf die Frage, ob das Essen geschmeckt habe, schon aus Prinzip über das zähe Fleisch, das verkochte Gemüse und den schlechten Service schimpfen. Als Kunde sind sie schließlich König, und der Restaurantbesuch ist vielleicht ihre einzige Gelegenheit, wo sie sich beschweren können und direkt Recht bekommen.

Bin ich jetzt wirklich einer von ihnen? Am liebsten würde ich diese Frage mit “nein” beantworten. Doch tief in mir drin weiß ich, dass das gelogen wäre. Auch wenn ich mich insgesamt für einen eher ausgeglichenen Typ halte, manchmal ist das kleine HB-Männchen in mir einfach stärker. Dann bin ich ein blöder Stinkstiefel und manchmal ja vielleicht sogar zu Recht.

In diesem Sinne, jetzt erstmal tief durchatmen. Rauchen tue ich ja nicht …

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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