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Doppelt Papa oder: Die Philosophie des letzten Mals

Ich bin ein Fan der Philosophie des letztes Mals. Immer schon, aber besonders, seit ich Kinder habe.

Wenn man Vater wird, erlebt man viele letzte Male. Viel mehr als man zunächst denkt. Denn anders als bei den meisten ersten Malen, bekommt man die letzten Male meist gar nicht mit. Erst viel später werden sie einem bewusst.

Erste Male werden oft gefeiert. Das erste Lächeln des Neugeborenen. Das erste Wort. Die ersten Schritte. Lange hat man daraufhin gefiebert, endlich ist es soweit. Was für ein Moment – dem in den meisten Fällen noch viele weitere folgen.

Bei letzten Malen ist es anders. Sie zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass es kein nächstes Mal mehr gibt.

“Der Augenblick, in dem Eltern ihr Kind das letzte Mal auf den Arm nehmen, ist ein gutes Beispiel.”, schreibt Roland Schulz in einem Artikel für das Süddeutsche Magazin. Irgendwann seien die Kinder zu groß, um sie noch auf den Arm zu nehmen. Anders als beim ersten Mal kommt das letzte Mal schleichend, oft erst im Nachhinein und gepaart mit der Frage: wann war das eigentlich, das letzte Mal?

Letzte Male sind mindestens so wertvoll wie erste Male. Darum sollte man sie sich auch viel öfter bewusst machen – oder sich wenigstens vor Augen führen, dass sie jederzeit passieren können.

Diese Idee stammt nicht von mir, sondern von William B. Irvine, einem ehemaligen Philosophieprofessor der Wright State University in Dayton, Ohio, USA. Er ist, vereinfacht gesagt, der Auffassung, dass man intensiver lebt, wenn man sich hin und wieder vorstellt, etwas jetzt gerade zum letzten Mal zu tun oder zu erleben.

Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: sogar etwas, das in dem Moment eigentlich eher unangenehm ist, kann plötzlich zu einem sehr wertvollen Ereignis werden, wenn man sich dessen Endlichkeit bewusst vor Augen führt.

Meine älteste Tochter hat die Angewohnheit, morgens zu mir ins Bett zu kommen. Wobei die zeitliche Einordnung “morgens” durchaus dehnbar ist. Mal kommt sie um halb sechs, dann wieder erst um kurz vor sieben. Es kommt aber auch vor, dass sie bereits um vier Uhr nachts entscheidet, dass es nun Zeit ist, ihr Bett gegen meins und ihre Decke gegen meine zu tauschen. Als Kissen muss oft mein Bauch herhalten.

Entsprechend ist meine Nacht dann mehr oder weniger zu Ende. Mit etwas Glück döse ich nochmal ein, oft liege ich einfach wach und denke nach.

Vermutlich wird meine Tochter in ein paar Monaten nicht mehr zu mir ins Bett kriechen. Spätestens mit der Einschulung, so höre ich aus meiner Eltern-Bubble, sei es damit oft vorbei. Die Zeiten, in denen ich am Wochenende wieder ein bisschen mehr ausschlafen darf, sind also absehbar – und gerade darum versuche ich, jede einzelne der nächtlichen Störungen zu genießen. Irgendeine davon wird die letzte sein und ich werde es vermutlich erst viel später wissen.

So ist es mit vielen Dingen, nicht nur mit Kindern, auch wenn die natürlich für letzte Male prädestiniert sind. Wenn man einmal anfängt, darüber nachzudenken, ist das Leben voll mit letzten Malen. Nicht alle davon verdienen es, dass man sich darüber Gedanken macht. Aber manchmal ist es tatsächlich hilfreich, um zumindest einige davon bewusster zu erleben – selbst wenn es vielleicht am Ende gar nicht die letzten Male waren.

In diesem Sinne, vielen Dank fürs Lesen – hoffentlich nicht zum letzten Mal!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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