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Peng!

Da hat jemand auf uns geschossen! Das war zumindest mein erster Gedanke. Der laute Knall; die geborstene Scheibe; die Splitter, die plötzlich ins Wageninnere regneten. Kommt doch immer mal wieder vor, dass Verrückte auf der Autobahn mit Kleinkalibergewehren wahllos um sich schießen, dachte ich mir.

Wobei: dachte? Nein, gedacht habe ich eigentlich nicht. Es war Freitagabend, kurz nach halb sieben, und wir waren auf der A6 in Richtung Norden unterwegs, als das Fenster auf der Fahrerseite plötzlich explodierte. Ich fuhr nicht all zu schnell, höchstens 120 Stundenkilometer auf der mittleren Spur. Mehr ließ der dichte Berufsverkehr um uns herum ohnehin nicht zu. Gedacht habe ich erstmal gar nichts, sondern nur reagiert.

Da hat jemand auf uns geschossen! Zum Glück kam da dieser Rastplatz. Blinker setzten, vorsichtig rüberziehen auf die rechte Spur, dann auf den Verzögerungsstreifen, abbremsen und die nächste freie Parkbucht ansteuern. Durchatmen. I. war OK, das war das Wichtigste. War ich verletzt? Nein. Nur ein paar Splitter Sicherheitsglas im Kragen.

Wenn wirklich jemand auf uns geschossen hatte, müsste entweder ein Projektil irgendwo im Auto liegen oder es müsste ein Austrittsloch auf der anderen Fahrzeugseite geben, oder? Oder gilt das nur für großkalibrige Waffen. Da kann sich ja auch jemand mit einem Luftgewehr einen Streich erlaubt haben. Oder Steine geworfen haben. Eine Seitenscheibe zerplatzt doch nicht einfach so in tausend Teile, oder doch?

Anruf bei der Polizei, sicher ist sicher. Der Beamte am anderen Ende hört ruhig zu. Ein Schuss sei in seinen Augen unwahrscheinlich, sagt er. Trotzdem sei es gut, dass ich angerufen hätte. Er stellt ein paar Fragen, gibt irgendwann Entwarnung. Wahrscheinlicher sei ein technischer Defekt. Sei selten, käme aber vor.

Der nächste Anruf gilt der Leasinggesellschaft, über die meine Firma den Wagen gemietet hat. Die Frau am anderen Ende ist nett, aber völlig durcheinander. Eine Seitenscheibe, die einfach so explodiert. Das hat sie noch nie gehört. Sie wisse gar nicht, ob das nun unter Panne falle (=Leasingfirma zahlt) oder Unfall (=Versicherung muss zahlen). Sie verspricht, sich zu kümmern und zurückzurufen.

I. und ich warten. Die Sonne ist inzwischen untergegangen. Ein Auto steuert den Parkplatz neben uns an, sieht die geborstene Scheibe und fährt eilig weiter. Langsam wird es kalt und wir lassen immer mal wieder den Motor laufen, damit der zwangsbelüftete Innenraum nicht komplett auskühlt. Dann ruft die Frau von der Leasingfirma zurück. Glasschäden würden als Unfallschäden behandelt. Eine Reparatur vor Ort sei um diese Zeit nicht mehr möglich. Man werde einen Abschleppwagen schicken und einen Mietwagen organisieren.

Der Abschleppwagen kommt. Nein, der Auftrag habe ihn nicht um seinen Feierabend gebracht, erzählt der Fahrer. Seine Schicht fange gerade erst an. Zehn abgeschleppte Fahrzeuge pro Nacht, das sei normal, und wir wären jetzt nun einmal das Erste. Geplatzte Scheibe? Ohne Fremdeinwirkung? Nein, das sei auch für ihn neu.

Das Handy klingelt. Wir hätten einen Mietwagen reserviert, sagt die Stimme am anderen Ende. Der Fahrer würde nun losfahren und sei in 30 bis 60 Minuten da. Es werden 75, doch das ist jetzt auch egal. Wurde auf uns geschossen? Wohl nicht. Trotzdem hat es sich genau so angefühlt und angehört. Statt nach Wuppertal fahren I. und ich nun zurück nach Karlsruhe. Es ist kurz vor 21 Uhr abends, unter normalen Umständen wären wir jetzt in Wuppertal oder zumindest kurz davor.

In diesem Sinne, wir sind beide froh, dass nicht mehr passiert ist!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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