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Weniger ist mehr: Flickr und was das mit dem Leben zu hat

1.000 Fotos oder Videos. Hier soll künftig die Grenze sein. Das schreibt Andrew Stadlen, Produktverantwortlicher beim Bilder-Netzwerk Flickr.com, in einem Blogpost. Wer mehr Dateien hochgeladen hat oder will und keinen bezahlten Pro-Account nutzt, dessen Bilder und Videos werden ab dem 8. Januar gelöscht, beginnend mit den ältesten Bildern.

Ein harter Schnitt. Noch vor wenigen Jahren hatte Flickr großzügig sämtlichen Nutzern, auch den nicht-zahlenden, ein Terabyte an Speicherplatz eingeräumt. Das bekommen höchstens professionelle Fotografen irgendwann voll. Für Hobby-Fotografen dagegen bedeutete ein Terabyte – das entspricht 1024 Gigabyte – Speicherplatz satt für viele, viele Jahre. Und genau hier lag nach Ansicht Stadlens das Problem. Man habe damit vor allem die Menschen angelockt, denen es um den freien Speicher ging, nicht um die Bilder an sich oder gar den Austausch mit anderen Foto-Interessierten. Genau hierin habe aber stets die Stärke von Flickr gelegen und solle sie künftig auch wieder liegen.

Ich bin seit bald zehn Jahren bei Flickr angemeldet, habe den Account in jüngster Zeit aber eher stiefmütterlich betreut. Hin und wieder, wenn mir eines meiner Fotos besonders gefiel, habe ich es hochgeladen. Dafür gezahlt habe ich schon seit Jahren nicht. Eine Weile habe ich Flickr auch als Bilderdatenbank für dieses Blog benutzt. Das war es auch schon. Als Fotoarchiv nutze ich ohnehin ganz klassische die Festplatte meines Rechners und das heimische NAS sowie, vor allem für Handyschnappschüsse und virtuelle Fotoalben, Apples icloud und googles Fotoupload. Den kostenlosen Speicher von Flickr fand ich zwar ganz nett, wirklich relevant war er für mich nicht, weil ich ohnehin nie auch nur annähernd an dessen Grenze gestoßen bin.

Trotzdem habe ich, als ich von Flickrs neuer Firmenpoliitik gelesen habe, nachgeschaut, wie viele Fotos sich eigentlich inzwischen in meinem Fotostream angesammelt haben. Weniger als 1.000. In so fern: noch kein Problem. Andererseits war ich auch nicht so weit von der neuen, magischen Grenze entfernt. Früher oder später würde ich mich also damit auseinandersetzen müssen, selbst wenn ich Flickr, wie bisher auch, eher sporadisch und nebenbei nutzen möchte, um mein Hobby mit anderen Interessierten zu teilen. Ich habe mir daraufhin das erste Mal seit Ewigkeiten wieder angeschaut, welche Fotos sich hier eigentlich über die Jahre angesammelt haben. Und ich habe gelöscht, sehr rigoros.

Grund eins: Man könnte zwar meinen, dass unter annähernd 1.000 Fotos ein paar weniger gut gelungene Aufnahmen erstmal nicht auffallen. Aber woher will ich wissen, dass ein potenziell interessierter Betrachter sich überhaupt mehr als eines meiner Fotos anschaut. Sollte ich nicht den Anspruch an mich selbst haben, dass jedes Bild zumindest theoretisch auch alleine für mein gesamtes Portfolio stehen kann? Will ich wirklich die Sammlung (in meinen Augen) guter Bilder mit den (ebenfalls in meinen Augen) weniger guten Verwässern?

Grund zwei: Weniger ist manchmal mehr. Wenn eine Ressource gefühlt unbegrenzt zur Verfügung steht, wissen wir sie irgendwann nicht mehr zu schätzen. Das gilt für Speicherplatz für Fotos, aber auch für praktisch alle anderen Dinge im Leben.

Ich lese sehr gerne. Im Zuge meines “One book a week”-Projekts habe ich mich kürzlich gefragt, wie viele Bücher ich wohl in meinem gesamten Leben lesen werde und bin dabei grob auf 2.600 gekommen. Das klingt erstmal viel, bedenkt man aber, wie viele Bücher alleine in Deutschland jedes Jahr auf den Markt kommen, ist es aber eine verschwindend kleine Zahl, selbst wenn man alle Bücher wieder rausrechnet, die mir nicht gefallen würden. Mit anderen Worten: von den Büchern, die ich gerne lesen würde, werde ich nur einen Bruchteil tatsächlich lesen können. Der Stapel der Bücher, die ich gerne lesen würde und die mir wirklich gut gefallen würden, ist um ein vielfaches höher. Und er wird größer mit jedem schlechten Buch, dass ich anstelle eines guten Buches lese.

Im Grunde genommen kann man das auch auf Menschen übertragen. Drastisch formuliert: Jede Minute, die ich mich mit Menschen beschäftige, die mir eigentlich nicht wichtig sind, fehlt mir bei den Menschen, die mir wirklich am Herzen liegen.

Denn selbst wenn es sich meistens nicht so anfühlt, so ist doch auch und gerade Zeit eine extrem begrenzte Ressource. Das sollte man sich vielleicht viel öfter bewusst machen, gerade weil sich ein Leben erstmal anfühlt wie das Terabyte Daten, das Flickr seinen Nutzern lange Jahre zur Verfügung gestellt hat. Zum einen ist irgendwann sogar das voll, zum anderen weiß man nie, ob nicht irgendwann plötzlich die Nutzungsbedingungen kurzfristig geändert werden.

In diesem Sinne, auf 1.000 gelungene Bilder!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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