Desillussionierend Zeitreisen

Ü/U30

Ist 30 eigentlich alt? Ich muss gestehen, ich bin mit dieser Frage überfordert. Ich war vorhin in einer dieser Studentenkneipen, von denen es in meiner neuen Stadt (Karlsruhe) so einige gibt. Noch bevor ich mein erstes Bier bestellen konnte, kam ein kleiner, unscheinbarer Mann durch die Tür, öffnete seinen Rucksack und zog ein Plakat daraus hervor. “Ü30-Party” stand darauf. Ehe ich ihn fragen konnte, ob ich gemeint sei, hatte er das Plakat in dem kleinen Flur aufgehängt und war wieder in der Nacht dahinter verschwunden.

“Ü30” – das ‘Ü’ steht für “Über” – aber ist man da mit 30 1/2 schon Teil der Zielgruppe? Und wenn nicht, darf ich dann ruhigen Gewissens zu “U30”-Parties gehen, obwohl ich ja eigentlich gar nicht mehr “unter 30” Jahre alt bin?

Wenn man 30 Jahre alt ist, steht man andauernd irgendwo dazwischen. Höre ich in der Dönerbude den Erstsemestern zu, komme ich mir unendlich alt vor. Mein (erstes) erstes Semester ist zehn Jahre und eine gefühlte Ewigkeit her. Ich muss mir richtig auf die Zunge beißen, um mich nicht zum altklugen Arschloch aufzuschwingen, das meint, den 19-Jährigen Neu-Studis die Welt erklären zu müssen. (Und das, obwohl ich schon mit deren Wortschatz überfordert bin!)

Andererseits finde ich mich selbst hin und wieder verwirrend, eben weil ich längst den Horizont überholt habe, den ich als 19-Jähriger hatte. Bis 30 ist noch alles so offensichtlich vorgezeichnet – oder scheint wenigstens so. Jetzt schwimme ich plötzlich im luftleeren Raum.

Bedingt jedenfalls. Beobachte ich Freunde, die Mitte 30 oder älter sind, stelle ich fest, dass sich gar nicht so wirklich viel getan zu haben scheint. Selbst bei einem Freund, der mittlerweile nach eigenen Aussagen “auf die 50 zugeht” (er ist Anfang 40) ist das so. Beruhigend, irgendwie, – und desillussionierend!

In diesem Sinne, viel Spaß beim Altern!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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