Gedankenwelten Zeitreisen

Stolperzeit

Ich mag diese Momente, die aus der Zeit fallen. Wobei “mögen” vielleicht der falsche Ausdruck ist. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Tag, als ich Berlin verlassen habe. Deutschland hat an diesem Tag im Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft 3:2 gegen die Türkei gewonnen. In meiner Wohnung stapelten sich die Umzugskartons. Zwölf Stunden nach dem Anpfiff des Finalspiels wollten die Freunde vor der Tür stehen, um beim Kistenschleppen zu helfen. Ich selbst hatte das Spiel in eine Kneipe in der Kulturbrauerei gesehen, bevor ich mich auf meine Luftmatratze gelegt habe, um noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, bevor es losgeht.

In meiner Berliner Wohnung und zwischen all den Kisten war ich damals längst nicht mehr zu Hause, auch wenn das weh tat. Woanders angekommen war ich allerdings auch noch nicht. Trotzdem habe ich erstaunlich gut geschlafen – oder gerade deswegen. Schließlich hatte ich nichts mehr zu verlieren. Mein Wegzug war ja längst besiegelt. An meinem neuen Ort dagegen gab es noch nichts, das ich hätte aufs Spiel setzen können. Ich hing völlig in der Luft.

Es gibt Momente, die fallen sprichwörtlich aus der Zeit. Oder besser formuliert: Sie fallen aus der eigenen Normalzeit. Wenn man aus seinem normalen Leben herausgerissen wird und zugleich ein anderes Leben (beinahe) in die Hand gedrückt bekommt. Etwa beim  Vorstellungsgespräch bei einem potenziellen neuem Arbeitgeber oder auch bei einer ganz normalen Urlaubsreise. Was zählt ist die gefühlte Auszeit aus dem eigenen Leben, selbst wenn diese im ersten Moment verwirrend ist. Zugleich ist sie aber jedes Mal ein Neuanfang. Man lässt Altlasten hinter sich.  Vielleicht bin ich auch deswegen so ein Fan von Hotelzimmern.

Das Schöne und das Schlimme  an solchen Momenten ist, dass sie in ihrer Dauer begrenzt sind. Man kann nicht verhindern, früher oder später in die eigene Zeit zurück zu stolpern, selbst wenn es sich dabei um die neue alte Zeit handelt. Allerdings weiß man nie, ob man auch wirklich wieder da landet, wo man gestartet ist. Und das hat doch schon wieder was.

In diesem Sinne, vorsicht – Stolperzeit!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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