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Lebenslänglich im Wartezimmer

Vielleicht sind wir längst in der Hölle. Oder im Himmel. Wer weiß das schon. In den meisten Religionen gibt es ein Leben nach dem Tod. Aber wer sagt uns, dass wir nicht längst gestorben sind? Dass wir nun hier gelandet sind, könnte einzig und allein daran liegen, dass wir uns in der vorherigen Station besonders gut geführt haben – oder besonders schlecht.

Möglicherweise ist das, was wir Leben nennen, auch nur eine Art Durchgangsstation. Ein Wartezimmer. Nur ist das Unterhaltungsangebot besser als die die sonst üblichen Lesezirkel-Zeitschriften. Die Jahre auf der Erde wären demnach nur ein kurzer Stopp, bevor das wirkliche Leben losgehen kann. Vielleicht haben wir uns die Zeit auf der Erde ja sogar selbst ausgesucht, um die Wartezeit zu überbrücken. Möglich, dass es nur eine Möglichkeit unter vielen war, die nächsten x Jahre nicht tatenlos rumsitzen zu müssen. Vielleicht sind wir dabei sogar eine Minderheit, und die meisten Menschen entscheiden sich für etwas ganz anderes?

Vor einigen Jahren habe ich mich einmal gefragt, ob wir uns für das Leben entscheiden würden, wenn wir vorher wüssten, was auf uns zukommt. Tatsächlich fällt es mir bis heute schwer, eine Antwort auf diese Frage zu finden.

Angenommen das Leben ist so etwas wie ein Fahrgeschäft irgendwo in einem Jahrmarkt für Seelen. Hier die Achterbahn, dort eine Wildwasserbahn – und in der Mitte ein Karussell namens “Leben”. Auf einer Hinweistafel aus Bronze ist ziemlich detailliert beschrieben, was hinter dem Drehkreuz wartet – welche schönen Momente das Leben bereithalten wird, aber auch welche Prüfungen es für jeden Einzelnen bereithält. Wäre die Schlange hier eher lang oder kurz?

Schon oft habe ich die Erfahrung gemacht, dass man sich viele Dinge eigentlich nur deshalb zutraut, weil man gar nicht so genau weiß, was da auf einen zukommt. Wüsste man bescheid, würde man von vornherein ablehnen. Am Ende ist man aber trotzdem froh, es nicht getan zu haben. Weil man sich, steckt man erst einmal in einer Situation drin, meist viel besser damit zurechtfindet, als man vorher erwartet hätte.

Mir macht dieser Gedanke Mut. Denn er trifft nicht nur dann zu, wenn man eine Wahl hat, sondern auch, wenn dem nicht so ist. Einmal in der Situation drin, findet man meist einen Weg, damit umzugehen. Mit anderen Worten: würde man die Bronzetafel mit der detaillierten Beschreibung am Eingang weglassen, wäre die Schlange wahrscheinlich länger. So bleiben zwar viele stehen, lesen die Beschreibung, entscheiden sich dann aber, sich das nun wirklich nicht antun zu wollen. “Was? Das alles wird im Laufe eines Lebens passieren? Das schaffe ich doch nie und nimmer!”

So gesehen sind wir, die trotzdem durch das Drehkreuz gegangen sind, schon ziemlich harte Hunde. In diesem Sinne …

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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