Desillussionierend Reisewelten Zeitreisen

Riesenzwerge

2013-10-03-Bangkok“Es fühlt sich an, als wenn ein Riese auf Deinem Brustkorb steht”, hatte R. gesagt. Damals hatten wir in einem kleinen Restaurant am Strand gesessen, irgendwo auf Ko Samui, einer Insel im Golf von Thailand. Während wir aßen, hatte R. von Afrika erzählt – und wie er sich dort Malaria geholt hatte. “Wegen des Fiebers kann man kaum atmen. Doch noch schlimmer sind die Tabletten. Man bekommt Halluzinationen davon.”

Vielleicht hätte R. das besser nicht erzählt. Zwei oder drei Wochen später hatte der Riese mich eingeholt. Davon war ich zumindest am Anfang fest überzeugt. Ich war schon einige Monate lang unterwegs gewesen, mehr als einen Schnupfen hatte ich bisher nicht gehabt. Nun hatte ich plötzlich Fieber und fiese Gliederschmerzen – inklusive einem starken Druck auf dem Brustkorb. Malaria – so meine Sorge.

Zwar war ich nur für ein paar Tage in einem schwach malariagefährdeten Gebiet gewesen, doch die Inkubationszeit passte. Auch sonst schienen sich sämtliche Symptome zu zeigen, die R. beschrieben hatte. Das behauptete zumindest der hypochondrische Teil meines Körpers.

Thailand hatte ich dummerweise inzwischen verlassen. Ich war weiter nach Laos gereist. Sogar in der für Touristen herausgegebenen “Welcome”-Broschüre wurde explizit davon abgeraten, sich bei schweren Krankheiten in Laos behandeln zu lassen. Das Land sei schön, aber eben auch etwas weniger weit entwickelt als zum Beispiel Thailand. “Nur 20 Prozent unserer Fernstraßen sind asphaltiert – doch hey, das ist wie die Rallye Dakar, nur eben ohne Kamele und TV-Kameras!”, wurde da mit einer Selbstironie erklärt, die ich niemals erwartet hätte. Wer ernsthaft krank sei, sollte besser ausreisen. Und nun aber lag ich mit eben dieser möglicherweise ernsthaften Krankheit in meinem Hotelbett. Den Riesen auf meinem Brustkorb sah ich fast bildlich vor mir, zumindest wenn ich meinen Aufzeichnungen von damals Glauben schenken kann.

Rückblickend muss ich schmunzeln, wenn ich die hingekritzelten Sätze in meinem Reise-Journal von 2004/05 lese. Ich erinnere mich aber daran, dass ich mir damals eben schon ernsthaft Sorgen gemacht habe. Für den Notfall hatte ich auf meiner Weltreise eine Packung Malaria-Tabletten dabei gehabt – eben die, vor denen mich R. und die Packungsbeilage warnten. Wahnvorstellungen und Selbstmordgedanken seien möglich (ein Grund, weswegen besagte Medikamente seit kurzem nicht mehr zur Selbstmedikation empfohlen werden).

Nehmen oder abwarten, so dagegen damals die Wahl, vor die ich mich um 3 Uhr nachts, nach dem x’ten fieberbedingtem Aufwachen, gestellt gefühlt habe.

Es dauerte etwa 12 Stunden, bis ich mich endgültig entschieden hatte, und 48 Stunden, bis der Spuk endgültig vorüber war. Schon als ich am nächsten Morgen aufwachte, war der Riese verschwunden. Einen Tag später ging auch das Fieber runter.

Rückblickend bin ich überzeugt, dass ich mir wohl eine leichte Lebensmittelvergiftung oder eine sonstige Infektion zugezogen haben muss. Konkret habe ich eine geschälte Ananas im Verdacht, die ich ohne großes Nachdenken auf dem Markt in der Hauptstadt Vientiane gekauft und verzehrt hatte. Malaria? Von wegen!

Unterm Strich habe ich allerdings eines gelernt: Manche Riesen sind mit etwas Zeit und bei genauerem Hinsehen eben doch nur Zwerge.

In diesem Sinne, kleinen Riesengruß auch!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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