Desillussionierend Webwelten

Meinung 2.0

Was wird eigentlich nicht im Internet bewertet? Es gibt Portale für Urlauber, bei denen man Erfahrungsberichte zu Hotels, Orten und Reiseveranstaltern lesen kann. Lehrer müssen ihre Leistungen im Internet ebenso kritisch hinterfragen lassen wie Hochschulprofessoren. Irgendwo habe ich sogar mal gelesen, dass man jetzt auch seinen Ex-Freundinnen online Noten geben kann: wie „gut“ war sie im Bett, welche Macken hatte sie und was sollte man ihr besser nicht zum Geburtstag schenken?

Solche Bewertungen sind nicht immer sinnvoll, für viele Menschen sind sie aber wichtig. Eine vermeintlich ehrliche Meinung zu einem Produkt (Lehrer, Exfreundin) wird von den meisten Menschen nun einmal höher bewertet als jeder noch so ausgefeilte Werbetext – dem man ja per se unterstellen muss, dass er einseitig positiv formuliert ist.

Das wissen natürlich auch die Firmen, die ihre Produkte verkaufen wollen. Dass der Chef des WeTab-Herstellers Neofonie , Helmut Hoffer von Ankershoffen, dreist unter fremdem Namen vermeintliche Endverbraucher-Rezensionen über das eigene Produkt verfasst hat, ist deshalb nicht schön (und sein Rücktritt eine gute Entscheidung). Überraschen dürfte es aber eigentlich niemanden – genau so wenig, wie der WeTab-Fall ein Einzelfall sein dürfte.

Im Gegenteil: Das Verkaufen von positiven Bewertungen ist für manche längst zum einträglichen Geschäft geworden. Die schweizer Agentur Trigami etwa verspricht, gezielt für private Produktbewertungen von Bloggern zu sorgen und wirbt mit „redaktionelle[n] Werbetexte[n], geschrieben von Bloggern, 100% positiv durch Inhaltskontrolle“. Als Referenz werden unter anderem Kunden wie die Allianz, Citroen, Jacobs Kaffee, Nike und Nikon angegeben.

Auch die auf Mallorca ansässige Firma Abvisco wirbt damit, gezielt das Web 2.0 für positive Außenwirkung zu nutzen und verspricht Antworten auf Fragen wie: „Wie platzieren wir unser Unternehmen erfolgreich in Social Media Plattformen [etwa Facebook, MeinVZ und Co]?“

Eigentlich kann einem Helmut Hoffer von Ankershoffen, bis gestern Chef des WeTab-Herstellers Neofonie, da nur leid tun. Der hat die Drecksarbeit wenigstens noch selbst gemacht.

In diesem Sinne, wer möchte eine positive Bewertung kaufen?

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert