Gedankenwelten Mitmenschen

Der Kern des Menschen. Eine Anleitung.

“Gewöhne einem Menschen ab, was Dich an ihm nervt, und Du wirst ihn nicht mehr mögen.” Diesen Satz habe ich vorhin in dem Online-Notizbuch gefunden, in dem ich meine Ideen für Blogeinträge sammle. Ich habe ihn schon vor über zwei Jahren dort hinein geschrieben. Offenbar habe ich aber seitdem nie die Zeit oder die Ruhe gefunden, ihn weiter auszuführen. Dabei habe ich mindestens einmal im Monat an ihn gedacht. Eigentlich immer dann, wenn ich das Gefühl hatte, dass jemand an mir herumbiegen will. Oder wenn ich mich selbst dabei erwischt habe, wie mir bei jemand anderem eine bestimmt Eigenschaft auf die Nerven gegangen ist.

Ich hasse es, wenn Menschen versuchen, mich zu verändern. Klar, das tut jeder, werdet Ihr nun erwidern. Ich behaupte allerdings, dass es bei mir noch ein bisschen extremer ist. Ich bekomme Platzangst. Wenn ich das Gefühl habe, dass mich jemand verbiegen möchte, möchte ich weglaufen. Oder zubeißen. Natürlich im übertragenen Sinn. Beiß- oder Fluchtreflex, manchmal auch beides. “Stur” nennen das Menschen, die mich gut kennen.

Oft gibt sich das, wenn ich etwas Zeit hatte, über den Veränderungswunsch nachzudenken. Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich nicht nur positive Eigenschaften habe. Außerdem glaube ich, dass man nie “fertig” ist. Es gibt immer etwas, woran man an sich selbst arbeiten kann (und sollte). Kritik nehme ich deshalb gerne an, auch wenn ich manchmal (nicht immer!) etwas Zeit brauche, um zu begreifen, warum ich kritisiert werde. Oft geht es ja gar nicht um die Sache selbst, sondern um etwas Tieferliegendes. Das kenne ich von mir selbst. Wenn ich mich darüber aufrege, dass jemand sich jemand verzettelt hat und nun eine Zusage nicht einhalten kann, steht dahinter vielleicht auch die grundsätzliche Kritik: Du bist unorganisiert. Das geht viel tiefer als nur das Aufregen über die eine vergessene Sache. Es berührt den Persönlichkeitskern des Menschen. Will ich den wirklich verändern?

Diese Frage wird spätestens dann relevant, wenn mir der andere Mensch wichtig ist. Bei Menschen, die mir nichts bedeuten, gönne ich mir manchmal die Freiheit, bestimmte Eigenschaften schlicht “doof” zu finden ohne mir weiter Gedanken darüber zu machen. In der Regel ist dem Anderen meine Meinung dann auch nicht sonderlich wichtig.

Wenn mir aber jemand etwas bedeutet, ist das schwieriger. Ein Sprichwort sagt, das man einen Menschen nicht trotz, sondern wegen seiner Fehler liebt. Ich glaube, dass da viel Wahres dran ist. So sehr mich manche Eigenschaften an einem Mitmenschen stören mögen, ich versuche mir immer bewusst zu machen, dass es letztlich auch und vielleicht sogar gerade diese Eigenschaften sind, die diesen Menschen ausmachen. Ohne sie wäre der Andere vielleicht unkomplizierter, aber eben auch nicht mehr er (oder sie) selbst.

Andersrum erwarte (oder erhoffe?) ich von meinen Mitmenschen, dass sie sich mir gegenüber genauso verhalten. Ich würde sogar sagen: wenn jemand bei diesem Punkt grundsätzlich anders tickt, wird er auf Dauer nicht mit mir auskommen. Das liegt auch daran, weil hier noch ein weiterer Wesenszug zum Tragen kommt: Freiheitsdrang. Auch hier das Platzangst-Dilemma. Ist mir jemand wichtig, bin ich bereit, fast alles zu tun und auf fast alles zu verzichten, aber ich muss diese Entscheidung selbst treffen. Habe ich das Gefühl, jemand anders möchte mir etwas aufzwängen oder verbieten, will ich weglaufen. Oder zubeißen. Oder beides.

Ich habe eine Weile gebraucht, um diesen Mechanismus zu durchschauen. Als Jugendlicher und auch noch als junger Erwachsener war ich manchmal selbst erstaunt, wie heftig ich reagiert habe, wenn dieser Wesenskern tangiert war. Mir war schlicht nicht bewusst, dass es (zumindest für mich) dann nicht mehr um die Sache selbst, sondern um etwas viel Grundsätzlicheres ging.

Heute weiß ich es besser. Das hilft mir im Umgang mit mir selbst, aber auch mit anderen Menschen. Die Freiheit, die ich für mich selbst einfordere, versuche ich auch jedem Anderen zuzugestehen. Nicht jeder kommt damit klar. Allerdings bin ich inzwischen recht gut darin, mich mit solchen Menschen zu umgeben, die es tun. Und für diese Menschen bin ich dafür um so dankbarer.

In diesem Sinne, lasst Euch nicht einsperren!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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