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Berliner

Herr Lehmann ist kein Berliner, denn eigentlich kommt er ja aus Bremen. Ein Bremer ist er aber auch nicht (mehr). Was ihn eigentlich zum idealen Berliner macht.

Irgendwo habe ich mal gelesen, dass rund die Hälfte der dreieinhalb Millionen Berliner inzwischen zugezogene Berliner sind. In einer Stadt wie Berlin ist das wichtig. Vor allem, weil die andere Hälfte, die Ur-Berliner, nämlich durchaus wert auf Feinheiten wie den Geburtsort legen. Der klassische Neu-Berliner würde sich dagegen am liebsten jedes Jahr in seiner neuen Heimat wie ein Rangabzeichen auf die Schulter heften.

Mit abgeklärter Stimme sagt der Neu-Berliner Sätze wie “Nord-Neukölln ist das neue Kreuzberg”, “Friedrichshain ist auch nicht mehr, was es einmal war” und “Prenzlauer Berg ist längst schwäbisch”. Der gebürtige Berliner rümpft bei solchen Sätzen eher die Nase. Nicht, weil er sie nicht unterschreiben würde, sondern weil ein echter Berliner solche Erkenntnisse gar nicht erst in Worte fassen muss – erst recht nicht gegenüber einem Möchtegern-Berliner.

Berlin bietet trotzdem beiden ein Zuhause, den Alten wie den Neuen und Zugezogenen. Das habe ich an dieser Stadt immer so geliebt. Berlin kann eine weiße Leinwand sein, die man bemalen und dann so tun kann, als würde man das Bild schon seit Jahren kennen.

Wer nach Berlin zieht, wird beinahe zwangsläufig schizophren. Das “Wo kommst Du her?” gehört genau so zum guten Ton wie das Bekenntnis zur neuen und trotzdem längst adaptierten Heimat. Man ist stolz, als Berliner durchzugehen – und unterstreicht diese Auszeichung, indem man zwischendurch immer wieder betont, was man längst hinter sich gelassen hat. “Ich bin zwar aus xy, aber ich wohne schon seit xxx Jahren in Berlin” ist ein mehr als typischer Satz.

Sven Regener, aus dessen Feder Herr (Frank) Lehmann stammt, hat immer bestritten, dass seine Romanreihe um den Berlin-Bremer Antihelden aus Herr Lehmann, Neue Vahr Süd und Der kleine Bruder biographisch zu deuten sei. Trotzdem gibt es zahlreiche Parallelen. Allerdings ist das eigentlich auch selbstverständlich. Ein Roman von einem zugezogenen Berliner, der nicht in Berlin spielt, würde mir schließlich meine ganze Theorie kaputt machen!

In diesem Sinne, Danke, Herr Regener!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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