Das Handy war im Rucksack – und der war weg. Geklaut. Am Busbahnhof in Mendoza, Argentinien. Von nun an würde ich eine Telefonzelle benutzen müssen, wenn ich mich zuhause melden wollte. Oder ein Internetcafé.
Wir schreiben das Jahr 2004. Ich bin 25 Jahre alt und seit drei Wochen alleine auf Weltreise. Argentinien ist das erste Land, das ich besuche. Später wird es über Chile nach Neuseeland, Australien und weiter nach Südostasien gehen. Das Handy, das mir zusammen mit dem Rucksack gestohlen worden ist, hatte ich bisher nur ein paar wenige Male eingeschaltet. Eigentlich nur, um per SMS mitzuteilen, wenn ich an einem neuen Ort angekommen war. So würden meine Eltern wissen, wo sie mit dem Suchen anfangen müssten, wenn mir etwas passiert wäre. Südamerika und alleine, das klang zumindest potenziell gefährlich, dachten sie wohl damals.
Ansonsten blieb mir für die Kommunikation mit Familie und Freunden die Variante Internetcafé oder, sofern verfügbar, die Computer-Terminals in den Hostels, in denen ich übernachtete. Hier schrieb ich regelmäßig E-Mails mit Reiseberichten an einen wachsenden Verteiler und suchte nach Unterkünften in den Städten, die als nächstes auf meiner Reiseroute lagen. Via Weltreiseforum tauschte ich mich mit anderen Reisenden aus – damals gab es dort noch eine recht aktive Online-Gemeinschaft. Einige der Schreiberinnen und Schreiber traf ich unterwegs sogar persönlich.
Das gestohlene Handy vermisste ich nicht. Die mit rund einem Megapixel auflösende Kamera taugte für Urlaubsfotos nichts (und für sonst etwas eigentlich auch nicht). Google Maps und Co. gab es auf dem Gerät nicht, natürlich auch kein WhatsApp oder allgemein: Internet. Einzig wenn ich irgendwo in einen Überland-Bus stieg und der mich zwölf, 24 oder auch mal 37 Stunden später wieder an einem neuen Ort ausspuckte, hätte ich aus dem oben genannten Grund gerne ein kurzes Lebenszeichen nach Hause gesendet.
Heute ist das natürlich ganz anders. Manchmal finde ich das schade. Dabei hat die Veränderung schon recht bald nach meiner großen Reise begonnen. Als ich ein paar Jahre später mit dem Rucksack alleine durch Spanien reiste, war ich irritiert, dass die meisten anderen Reisenden mindestens so viel auf ihr Handy starrten, wie sie die Landschaft betrachteten. Als ich ein weiteres Jahr später per Fähre die Kykladen erkundete, war ich in den Aufenthaltsräumen der Hostels oft der gefühlt einzige Reisende, der kein ipad vor sich liegen hatte. Was das Smartphone anging, war ich wohl eher ein Spätzünder. Vielleicht wollte ich mir unbewusst die vermeintlich „gute alte Zeit“ noch ein wenig länger erhalten.
Wobei: War mir damals bewusst, dass hier etwas endete? Ich glaube nicht. Aber ich kann es an mir selbst beobachten. Auch mein Smartphone ist inzwischen allgegenwärtig. Ich habe es in der Tasche, um meine Kinder zu filmen, wenn diese wieder etwas Besonderes machen (was die eigenen Kinder in den Augen der Eltern ja ständig tun, zumindest, so lange sie noch klein sind). Selbstverständlich werden die Filme dann zeitnah an die Großeltern geschickt, und wenn ich das Gerät eh schon in der Hand habe, kann ich ja auch gleich schauen, was es auf der Welt Neues gibt und was meine Freunde gerade tun. Ach ja, und mal eben nach dem Wetter gucken.
Auch auf Reisen ist das Smartphone ein ständiger Begleiter: Fotos machen, Routen planen, Supermärkte oder Restaurants suchen und so weiter. Das ist ganz selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich steht man auch unterwegs ständig in Kontakt mit Familie und Freunden zuhause, die die Reise praktisch in Echtzeit miterleben können.
Das ist nicht per se schlecht. Aber manchmal tun mir die Menschen leid, die es gar nicht mehr anders kennengelernt haben.
Menschen, die, wie ich, Ende der 1970er oder Anfang der 1980er geboren wurden, haben noch miterlebt, wie es war, als es keine Mobiltelefone, kein frei verfügbares Internet und keine Computer im Alltag gab. Ich erinnere mich noch genau an unseren ersten Video-Rekorder („Wow, Filme schauen, ohne dass sie gerade in der Programmzeitschrift stehen!“) und kenne noch Ansagen wie „Wenn es dunkel wird, kommst Du aber rein“. Heute kann man seine Kinder, wenn man denn will, per Handy orten.
Wenn ich als Jugendlicher und als junger Mann verreist bin, war ich tatsächlich weg. Zumindest hat es sich für mich so angefühlt. Weder konnte ich ständig Updates nach Hause senden, per instagram teilen oder sonstwie auf die Welt loslassen, noch bekam ich immerzu in Echtzeit mit, was gerade zuhause los war. Das hat das Reisen intensiver und vielleicht etwas abenteuerlicher gemacht. Australien (das Bild oben zeigt Whitehaven Beach in Australien, seinerzeit noch analog fotografiert) hat sich damals noch ein bisschen mehr wie das andere Ende der Welt angefühlt als heute. Mit anderen Worten: Ich habe die Entfernung noch gespürt.
Heute tue ich das nicht mehr und finde das manchmal schade. Ich kann im hintersten Winkel der Welt stehen und bekomme trotzdem in Echtzeit die neuesten Infos aus der Whats-App-Elterngruppe aus der Kita. Spüren tue ich dabei weniger die Entfernung, sondern höchstens noch die Zeitverschiebung, weil das Handy mich mitten in der Nacht über die wieder mal verkürzten Öffnungszeiten informiert.
Auch für mich ist das inzwischen selbstverständlich, auch wenn ich mich bemühe, es nicht so zu sehen. Auf eine Sache freue ich mich trotzdem schon jetzt: auf das Gesicht meiner Tochter, wenn sie mich irgendwann herausfordernd und auf ein gutes Argument hoffend fragen wird, wann ich denn mein erstes Handy bekommen habe – und ich lässig antworten kann: „mit 22!“
In diesem Sinne, gute Reise und so!