Mitmenschen Zeitreisen

Oberschurken, Makler und der intellektuelle Teil der Düsseldorfer Altstadt

Er muss so um die 60 Jahre alt sein und in seinem Hosenbund steckt keine Pistole. Ich schreibe das explizit, denn eine Pistole hätte gut zu ihm gepasst. Halblange, blond-graue Haare im Stil der 1960er oder 1970er gescheitelt, eine dunkle und vermutlich sehr teure Sonnenbrille, halb-offenes Hemd – wäre dies ein Film, wäre er einer der Oberschurken gewesen.

Vor ihm auf dem Tisch: ein Flaschenkühler und eine Flasche Rosé, dazu ein separates Glas mit Eiswürfen. Dem Mann gegenüber steht ein weiterer Mann im gleichen Alter. Er trägt eine übergroße Piloten-Sonnenbrille, seine Glatze ist leicht gerötet. Eine Pistole fehlt auch hier, hätte aber ebenfalls gut gepasst. Die beiden haben offensichtlich etwas zu feiern. Ein gelungener Coup? Was sie sagen, kann ich nicht hören, dafür telefoniert der Mann einen Tisch weiter zu laut. Auch  er scheint direkt aus den 1970ern zu kommen oder zumindest einen Friseur aus dieser Zeit zu konsultieren.

Es muss mindestens zwei Jahrzehnte her sein, als ich das letzte Mal hier gewesen bin. Das „Ohme Jupp“ bildet zusammen mit Einhorn und Uel das „spezielle Bermudadreieck“ (Westdeutsche Zeitung) der Ratinger Straße am Rande der Düsseldorfer Altstadt. Eine Art Feierzentrum abseits des eigentlichen Feier-Zentrums. Als ich in Düsseldorf studiert habe, war ich manchmal mittwochs hier. Studi-Nacht, im Sommer oft so voll, dass man nicht mal auf den Bürgersteigen einen Platz zum Sitzen und kaum einen zum Stehen fand. Jetzt stiefeln nur vereinzelt Touristen umher, die meisten Lokale sind noch leer.

Der Mann mir gegenüber hat aufgelegt und bestellt etwas zu essen. Er ist Makler, so viel habe ich aus dem Telefonat heraushören können. Ein zweiter Mann tritt an seinen Tisch, offensichtlich der gleiche, mit dem er eben noch telefoniert hat, denn die beiden setzen das Gespräch übergangslos fort.

„Du willst doch die ganze Straße, oder? Du brauchst mir nur ein paar Bilder schicken, ich mache dann das Exposé fertig. Zwölf Wochen, dann weißt Du, ob Dein Bauantrag genehmigungsfähig ist. Ich kümmere mich um alles. Ich kenne da die richtigen Leute.“ Der Makler nickt und winkt nach dem Kellner. Sie bestellen etwas zu essen. Dann fachsimpeln sie über Immobilien-Deals, die sie gemacht haben oder noch machen werden. „Loft ist super“, sagt der zweite Mann. „Kleine Zielgruppe, die nimmt dafür alles, weil es nicht viele davon gibt.“

Das Essen kommt. Jetzt beginnt der andere Mann zu telefonieren, liest irgendwem die Salatkarte vor. Zehn Minuten später steht eine junge Frau am Tisch der beiden Männer. Sie ist die Tochter des Mannes. „Kannte ich gar nicht hier“, sagt sie. Der Makler grinst. „Die Ratinger Straße ist der intellektuelle Teil der Altstadt.“, erklärt er dann. „Wir waren schon als Gymnasiasten immer hier.“

Als alle aufgegessen haben winkt er dem Kellner und verlangt die Rechnung. Als dieser mit einem Kassenbon an den Tisch kommt, bricht ein kurzer Disput los, dann verschwindet der Kellner wieder. Als er zwei Minuten später zurück ist, wirkt er zerknirscht. „Nein, ich habe absolut keine Chance, da noch einen Vermarktungsbeleg draus zu machen.“ Der Makler guckt genervt.

Da steht der Oberschurke vom Nachbartisch auf. Mit einer jovialen Geste stellt er sein Glas ab, breitet die Arme aus und macht zwei, drei Schritte in Richtung des Maklers. „Um fünf kommt der Chef. Der Chef kann einen Bewirtungsbeleg rauslassen. Ganz sicher. Schreib mir Deine Adresse auf, dann schick ich Dir den zu.“

Der Makler scheint zu überlegen, entscheidet sich dann aber dagegen. Der Schurke setzt sich wieder. „Das muss dann aber mindestens einen Schnaps aufs Haus geben. Oder Kaffee. Oder Champagner. Nein, halt, keinen Champagner. Das ist nur was für Frauen.“, ruft er und lacht. Als er sich umdreht, sehe ich kurz etwas Dunkles aus der Tasche seiner Hose hervortreten. Doch eine Knarre? Nein, stelle ich fest. Nur ein Handy.

In diesem Sinne, darum sitze ich manchmal gerne alleine in Kneipen.

 

 

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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