Gedankenwelten

Wer ist Stiller?

Berlin ist toll. Die Stadt ist riesig, trotzdem trifft man manchmal genau im richtigen Moment einen alten Bekannten. Vorhin bin ich mir selbst begegnet. Der Ort war vielleicht etwas unpassend: das Waschbecken einer Herrentoilette im Keller einer Kneipe auf der Lychener Straße in Prenzlauer Berg. Die Begegnung an sich war aber schön. Plötzlich stand ich vor mir, wer hätte das gedacht.

Ich war gerade dabei, mir die Hände abzutrocknen, als ich mich bemerkt habe. Neugierig habe ich mich vom Spiegel über dem Waschbecken aus angeguckt. Dabei bin ich mir vorgekommen wie eine Figur aus einem Roman von Max Frisch: James Larkin White alias Stiller.

Frisch beginnt das gleichnamige Buch mit dem großartigen ersten Satz “Ich bin nicht Stiller.” Es kommt mir vor, als hätte ich gerade diesen Satz, natürlich angepasst auf meine Person, in letzter Zeit auch viel zu oft gesagt bzw. gedacht.

Keine Angst, ich werde nun nicht ins literarische Interpretieren abgleiten, dafür ist es auch viel zu lange her, dass ich das Buch gelesen habe (sechs Jahre, glaube ich). Trotzdem musste ich plötzlich daran denken, wie ich mich so in dem Spiegel des neonbeleuchteten WCs im Keller dieser Kneipe angeguckt habe: Ich stehe gerade vor einigen, wie mir scheint, recht wichtigen Entscheidungen, die zu treffen mir mit jedem Tag schwerer fällt. Je länger ich grübel, desto enger wird mein Blick. Jeder Gedanke führt zu neuen Überlegungen und jede davon baut wiederum auf die vorher erdachten Prämissen auf. Kurz: je weiter sich die Kette vom Ursprung entfernt, desto weniger hat sie mit der Realität zu tun, auch wenn sie in sich durchaus logisch scheint.

Das Problem ist, dass ich bei all den Überlegungen immer weiter von mir selber weg zu gleiten scheine. Damit die Kette hält, musste ich mir ein permanentes “ich bin’s nicht” zuflüstern. Bis eben. Wie ich mich da so im Spiegel sah funktionierte das “ich bin nicht Stiller” (respektive Felix) plötzlich nicht mehr. Auf war alles wieder ganz klar. Ich denke, ich weiß nun, wie ich mich entscheiden muss. Später mehr.

In diesem Sinne, Gruß an Stiller!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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