Gedankenwelten

Wer hat’s erfunden?

Es müssen mehrere gewesen sein, die volltrunken aus dem Fenster gekotzt haben. Die Hotelbar glich einem Flaschenlager, die wenigsten übrigens tatsächlich auch in der Bar gekauft, und irgendwann war auch die Polizei da, Ruhestörung, hieß es.

All das ist ausnahmsweise nicht während meiner letzten Nachtschicht passiert, sondern vor ziemlich genau neun Jahren. Das Hotel, benannt nach einem Wesen aus der griechischen Mythologie und in der Nähe einer Bushaltestelle, die hieß wie eine bekannte Biersorte, war damals nicht mein Arbeitgeber. Statt dessen war ich Gast und mit dem Deutsch-LK auf Kursfahrt in Prag.
“Ich sitz noch nicht und ihr sauft schon”, hatte die begleitende Deutschlehrerin gerufen, als wir bei Abfahrt des Zuges nach Tschechien das erste Bier geöffnet hatten (um sechs Uhr morgens). Für die Reise eine ganz passende Umschreibung.

Natürlich haben wir nicht nur getrunken und nicht nur gefeiert. Als ich allerdings ein paar Jahre später noch einmal in Prag war, hat es mich schon überrascht, wie wenig mit außer den Parties im Gedächtnis geblieben war. Trotz sicher ausgeklügeltem Kulturprogramm, einer wirklich bemühten Lehrerin und der eigens engagierten Stadtführerin war es eben doch gerade das gemeinschaftliche über-die-Stränge-Schlagen, dass in meiner Erinnerung haften geblieben ist.

Daran musste ich letztens denken, als wir im Hostel mal wieder diverse Schüler auf Klassen- und Abschlussfahrt untergebracht hatten. Einige der Kiddies blieben besonders lange wach und belagerten zwischendurch immer wieder den Rezeptionstresen. Ob sie denn auch die schlimmste Gruppe wären, die wir bis dato zu Gast gehabt hätten, wollten sie wissen.

Aus oben beschriebener Perspektive ist das fast niedlich. Zumal ich sagen muss, die Schlimmsten waren sie wirklich nicht. Eher im Gegenteil: einigermaßen leise, ausgesprochen höflich, und selbst die Menge des ins Haus geschmuggelten Alkohols hielt sich, gemessen an dem, was ich abgefangen habe, sehr in Grenzen. Keiner, der von der Polizei entwaffnet werden musste, weil er sich nicht von seinem Messer trennen wollte (“Ey, das ist doch Berlin, da muss ich mich doch wehren”), keine abgeschraubten Rauchmelder im Zimmer und keine Stühle, die im hohen Bogen von der Dachterrasse in Richtung Biergarten und Straße segelten.

Das Faszinierende ist, dass sich trotzdem jede neue Gruppe wieder der Illusion hingibt, sie hätten die wilde Party erfunden und den verbotenen Spaß gepachtet. So wir wir vor neun Jahren in Prag.

In diesem Sinne, neu ist immer relativ!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert