„Entschuldigung, aber sind Sie denn aus der DDR?“
Die Bahn war mir vor der Nase weggefahren, und weil Sonntag ist und die U6 da nur im Zehn-Minuten-Takt fährt, hatte ich beschlossen, ein paar Schritte zu Fuß zu gehen und Stadtmitte direkt die U2 zu nehmen. Gerade hatte ich die in die Straße eingelassene Markierung der früheren Grenze am Checkpoint Charlie, Ecke Friedrichstraße – Kochstraße, hinter mir gelassen, als diese Stimme ertönte: „Entschuldigung, aber sind Sie denn aus der DDR?“
Natürlich, die Frage passte, sie kam nur ein paar Jahre zu spät. Gestellt wurde sie mir von einem Mann, Ende 30, tippe ich, obwohl er älter aussah. Mit Argusaugen schien er mich zu beobachten, während er ein altes Fahrrad über den Bürgersteig auf der anderen Straßenseite schob. Gewundert hat mich das eigentlich nicht. Heute Nacht waren eh wieder alle verrückt.
Ich habe gearbeitet, was auch der Grund war, wieso ich Sonntags morgens um halb neun die Friedrichstraße hochgegangen bin, und die Nacht war wieder mal voll seltsamer Gestalten. Angefangen hatte es schon gegen eins, als ein junger Mann ins Hostel kam und auf deutsch nuschelte, hier müsste ein Zimmer für ihn und seine Freunde reserviert sein. Auf welchen Namen, wusste er nicht, auch eine Reservierungsnummer oder ähnliches hatte er nicht. Selbst auf meine Frage, ob er denn sicher sei, dass er im richtigen Hostel wäre, schüttelte er emotionslos den Kopf. Das heißt, zumindest in meinen Gedanken schüttelte er den Kopf. Tatsächlich blieb er fast die Ganze Zeit bewegungslos. Sicher sei er da leider nicht, bekannter er schließlich. Dann zückte er sein Handy, wählte eine Nummer und begann, im immer noch völlig emotionsfreien Ton, mit irgendwem zu telefonieren, der sich offenbar auskannte. Zehn Minute später war die Reservierung des jungen Deutschen gefunden.
Gerade rechtzeitig, denn jetzt fielen die Amerikaner über den Kühlschrank her. Gemeinsam mit einer Gruppe deutscher Abiturienten machten sie sich in der Bar breit und begannen einen bierseligen Kulturkampf. Klar im Vorteil: die Deutschen. Im Gegensatz zu den Amerikanern hatten die nämlich binnen kürzester Zeit das komplizierte System des Flaschenpfandes begriffen. Da sieht man mal, wofür so ein Abitur alles gut ist.
Die Amis dagegen punkteten auf ihre Art: mit deutlich schnellerem Alkoholkonsum. Die Folge: ein sehr aufgeräumter deutscher Tisch und ein Flaschenberg auf dem Tisch der Amerikaner, mit dem ich mich dann am Morgen rumschlagen durfte. Freilich erst, nachdem die Amis weg waren. Länger durchgehalten haben die nämlich auch.
„Entschuldigung, aber sind Sie denn aus der DDR?“
Der Mann mit dem Fahrrad blieb wenigstens hartnäckig. Geantwortet hab ich ihm trotzdem nicht. Er schien so eine Freude, an seiner Frage zu haben, dass ich nicht den Eindruck hatte, als sollte ich ihm das mit einer schnellen Antwort verderben.
In diesem Sinne, Vorsicht beim Grenzübertritt!