Mitmenschen Reisewelten

Priority Boarding

In einem Flugzeug zu sitzen macht keinen Spaß. Vielleicht tut es die Tatsache, in relativ kurzer Zeit irgendwo hin zu kommen oder auch, in ebenso kurzer Zeit von irgendwo anders weg zu kommen, aber nicht das im Flieger sitzen selber.

Es ist eng, es ist laut und schlecht temperiert. Außerdem sitzen in jedem Flugzeug jede Menge Menschen, mit denen man sich unter normalen Umständen keinen so engen Raum freiwillig teilen würde. Kurz: keine sehr angenehme Situation. Dennoch scheinen es die meisten Menschen es unglaublich eilig zu haben, in eben jene Situation zu kommen.

In Stansted werden die Gates zu den Flügen normalerweise 50 Minuten vor Abflug auf den Bildschirmen hinter dem Security Check bekannt gegeben. Weil zumindest tagsüber alle paar Minuten ein Flieger geht, stehen oft ganze Menschentrauben um die Monitore und warten ungeduldig darauf, den zu ihrem Flug passenden Ausgang zu erfahren. Ist es dann so weit, eilen sie zu den Flugsteigen, um auch ja ganz vorne in der Schlange fürs Boarding zu stehen. Fast, als fürchteten sie, sonst nicht mehr mitgenommen zu werden.

Das gilt sowohl für die Passagiere, die Billigflieger, also keinen festen Sitzplatz, gebucht haben als auch für diejenigen, auf deren Ticket ohnehin eine reservierte Platznummer vermerkt ist. Die meisten Billigflieger lassen es sich mittlerweile sogar bezahlen, wenn jemand besonders früh an Bord gehen will. Sie nennen es  „Priority Boarding“ – und finden anscheinend jedes Mal ein paar Dumme, die für diesen vermeintlichen Service ein paar Euro mehr anlegen.

Verrückt, eigentlich. Bedeutet es doch, noch mehr Zeit im Bauch der Boeings und Airbusse zu verbringen, als ohnehin schon notwendig. Hinzu kommt, dass wer zuerst kommt, sich selten aussuchen kann, wer die Plätze neben ihm oder ihr belegt. Denn hier wird sich später irgendwer dazu setzen und das kann, wie ich etwa beim Flug nach Riga bemerkt habe, durchaus auch ein trinkfreudiger Lette oder eine freundliche Mutter samt schreiendem Baby sein.

Der späte Vogel hat es hier deutlich besser. Gemächlich steht er auf, wenn die Schlange am Gate kürzer zu werden beginnt, und schlendert entspannt in Richtung Gangway. Im Flieger sucht er sich selbst aus, neben wem er sitzen möchte und neben wem nicht und erspart sich gleichzeitig 20 oder 30 zusätzliche Minuten im beengten Flugzeugbauch. 

Klingt vernünftig, oder? Aber wer würde schon behaupten, dass wir Menschen vernunftbegabt sind?

In diesem Sinne, guten Flug!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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