Gedankenwelten

Ortskenntnis

Man kann nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen”, hat der griechische Philosoph Heraklit einmal gesagt. Er hat damit die ständige Veränderung beschrieben, der nicht nur der Fluss, sondern vor allem auch derjenige unterworfen ist, der hineinsteigt. Alles ist in Bewegung. Auch wenn es derselbe Flusslauf sein mag, so sind es doch neue Wellen, die einen dort umströmen, und auch wenn es die selbe Person ist, die in diesen Wellen steht, so hat doch schon das erste Durchschreiten des Wassers diese Person verändert. Ich bin überzeugt, das Heraklit richtig liegt. Nichts desto trotz kann es manchmal ganz erhellend sein, sich den gleichen Fluss mehr als einmal anzugucken.

Meine Erinnerungen sind oft an Orte gebunden. Ich stehe an einem bestimmten Platz oder laufe eine bestimmte Straße hinunter und plötzlich geht mir ein ganzer Schwall von Erinnerungen durch den Kopf, die in irgendeiner Art und Weise mit eben jenem Ort verbunden sind. Manchmal passiert das völlig unintendiert, dann und wann provoziere ich es aber auch. Ich glaube, es ist meine Art, Vergangenes zu verarbeitet.

Wohl jeder kennt Situationen, wenn er oder sie plötzlich an einen Ort zurück kehrt, den man aus seiner Kindheit kennt und auf einmal feststellt, dass alles viel kleiner zu sein scheint, als man es in Erinnerung hat. Auf einmal wird offensichtlich, dass man sich verändert und weiter entwickelt hat.

Vielleicht nicht ganz so frappierend, aber dennoch deutlich spürbar kann es sein, wenn man einen Ort besucht, mit dem man eine bestimmte Zeit seines Lebens verknüpft. Vielleicht, weil in einer bestimmten Phase seines Lebens (regelmäßig) dort gewesen ist oder weil dieser Ort für einen bestimmten Menschen steht; vielleicht auch einfach, weil eine besonders starke Emotion daran geknüpft ist. Auf einmal mixen sich die alten Empfindungen mit dem neuen Ich, der Ort (gerne auch der Geruch, das Lied, das Buch, der Film, etc.) werden zum Fotoalbum der Seele aus einer bestimmten Zeit, der Vergleich des Albums mit der Realität selber zur Aufarbeitung.

Ich erinnere mich, dass mir das einige Wochen nach dem Ende einer für mich sehr wichtigen Beziehung geholfen hat. Ich bin viel und scheinbar ziellos durch die Gegend gefahren, habe Musik gehört und habe, wohl mehr unbewusst als mit Absicht, allerlei “gemeinsame” Orte angesteuert. Irgendwann hat es geholfen. Auch wenn sich die Orte vielleicht nicht so sehr verändert hatten, ich hatte es bestimmt. Oder anders: ich habe angefangen, die Veränderung zu sehen, die in mir schon längst passiert war.

In diesem Sinne, frohes Verändern!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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