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One book a week II

Ihr lest ja doch! Oft genug habe ich das Gefühl, ich bin der einzige Mensch, der noch Bücher liest. Die Reaktionen auf meinen “One Book A Week”-Post von vor ein paar Wochen beweisen allerdings das Gegenteil. So viele Buchempfehlungen! Vielen Dank dafür!

Brauchen kann ich die gut. Denn interessanterweise läuft die selbst auferlegte Herausforderung, die eigentlich gar keine war, weiter erstaunlich gut. Woche 25 in diesem Jahr und ich bin bei Buch 23 angelangt.

Dabei ist bloße die Zahl eigentlich Nebensache. Ich habe immer gern gelesen und tue dies bis heute. Ich muss mich nicht zum Lesen zwingen. Trotzdem gibt es immer wieder Phasen, in denen ich wochenlang kaum mehr als drei Seiten schaffe. Weil immer etwas ist. Ich schreibe lieber selbst, bin nach dem Sport zu müde oder muss abends zu einer beruflichen Veranstaltung. Dabei weiß ich genau, dass ich ausgeglichener bin, wenn ich mir vor dem Schlafengehen noch etwas Zeit nehme.

Dieses Jahr klappt das irgendwie. Vielleicht weil es die richtigen Bücher waren. Hier eine kleine Auswahl der Bücher, die ich in den letzten Wochen gelesen (in einem Fall: gehört) habe:

Graham Moore, Die letzten Tage der Nacht

Thomas Edison war kein sympathischer Mensch. Das wird schon nach wenigen Seiten klar. Sein Konkurrent bei der Elektrifizierung Amerikas, George Westinghouse, allerdings auch nicht. Beide würden für ihre Überzeugung über Leichen gehen. Zwischen ihnen steht der junge, unerfahrene Anwalt Paul Cravath. Für Westinghouse versucht er einen Patentstreit zu gewinnen, bei dem es um nicht weniger geht als die Frage: Wer hat die Glühbirne erfunden – und sollte diese mit Gleich- oder mit Wechselstrom betrieben werden?

Graham Moore beschreibt, was später als amerikanischer Stromkrieg in die Geschichtesbücher eingehen soll. Er tut dies etwas gerafft, aber ansonsten historisch korrekt, mit vielen Belegen unterfüttert und extrem unterhaltsam. Die große Stärke des Buches zeigt sich aber darin, wie der Autor diese Geschichte mit ganz anderen, grundsätzlichen Fragen verknüpft. Im Zentrum steht hier der Protagonist, Paul Cravath,  und die Frage, wie weit er für seinen eigenen Ehrgeiz zu gehen bereit ist.

Auch wie der Autor die widersprüchlichen Charaktere der beiden Erfinder herausarbeitet, ist höchst lesenswert: Auf der einen Seite der eitle Edison, der gar nicht selbst forscht, sondern nur die Problemstellungen vorgibt, an denen sich dann ein Heer von Wissenschaftlern abarbeitet, indem es stur Variante für Variante durchprobiert. Auf der anderen Seite der rein unternehmerisch denkende Westinghouse, dem die Forschung selbst herzlich egal ist, der aber überzeugt ist, das bessere Produkt und damit die besseren Chancen am Markt zu haben. Als Nebenfigur tritt später noch Nikolas Tesla auf, der Archetyp des Erfinders, der eine Erfindung ohnehin nur so lange interessant findet, bis er sie (im Kopf) fertig konstruiert hat, und der sich dann am liebsten dem nächsten Projekt widmet.

Gefunden habe ich das Buch auf Empfehlung meines Vaters und es definitiv nicht bereut.

Ed Catmull, Creativity Inc.: Overcoming the Unseen Forces That Stand in the Way of True Inspiration

Wieso machen so viele Firmen die gleichen Fehler – und wie kann man sie vermeiden? Das ist die Ausgangsfrage, die der Pixar-Gründer Ed Catmul sich stellt. Um sie zu beantworten plaudert er nicht nur immer wieder aus dem Nähkästchen der Animationsfilme-Schmiede, sondern nimmt den Leser dabei zugleich mit auf eine Reise in die Anfänge des Silicon Valley und der wirtschaftlich nutzbaren Computertechnologie.

Das Buch ist aufgebaut wie ein klassisches Management-Handbuch, liest sich aber viel lockerer. Catmull hangelt sich mehr oder minder chronologisch an der Geschichte von Pixar von der Gründung bis in die Jetzt-Zeit entlang. Die Tipps sind teilweise nicht neu (“Hab keine Angst, Menschen einzustellen, die klüger sind als Du selbst!”), aber gut verpackt und nett zu lesen. Es schadet ja auch nicht, an das Eine oder Andere noch einmal erinnert zu werden.

Vor allem sind sie mit vielen Beispielen aus der Praxis unterlegt. Das Buch wird so zugleich zu einem Geschichtsbuch, und das ist es, was eigentlich Spaß daran macht.

Haruki Murakami, Hard boiled Wonderland und das Ende der Welt

Vielleicht liegt es daran, dass ich dieses Buch erst jetzt gelesen habe. Geschrieben hat es der japanische Autor nämlich bereits vor über 30 Jahren. Darum wirkt es heute auch auf eine angenehme Weise wie ein Ausflug in meine Kindheit. Alles scheint etwas gemächlicher, übersichtlicher, überschaubarer als heute. Dabei spielt die Geschichte selbst in einer Art Zukunft, zumindest die eine Hälfte. Im Japan dieser Welt gibt es auf der einen Seite “das System”, auf der anderen “die Fabrik” und beide haben vor allem ein Ziel: Daten sicher zu verschlüsseln – und der Gegenseite Daten abzujagen. Um welche Art Daten es sich hier handelt, wird nicht erklärt, spielt aber auch keine Rolle.

Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht eines Ich-Erzählers, der als Kalkulator arbeitet – jemand, der Daten verschlüsselt. Zu Beginn des Buches bekommt er von einem seltsamen Professor den Auftrag, Daten mit einem eigentlich verbotenem Verfahren zu verschlüsseln. Bei diesem Verfahren dient das Gehirn des Kalkulators selbst als Schlüssel – eine Methode, die, wie später rauskommt, eben dieser Professor  entwickelt hat. Dummerweise starben sämtliche Kalkulatoren, deren Gehirne zur Anwendung dieses Verfahrens manipuliert wurden – bis auf besagten Ich-Erzähler.

Der findet sich plötzlich zwischen allen Stühlen wieder und wird gleich von mehreren Seiten gejagt und bedroht. Unterstützung bekommt er von der seltsam weltfremden Nichte des Professors und von eine Bibliothekarin mit Essstörung (sie kann unglaubliche Mengen verschlingen) und es dauert eine ganze Weile, bis sich für den Leser ein einigermaßen verständliches Bild formt.

Noch abgedrehter ist die Parallelgeschichte, die ebenfalls aus Sicht eines Ich-Erzählers geschildert wird, aber scheinbar nichts mit der ersten Geschichte zu tun hat, mit der sie sich kapitelweise abwechselt: Ein Mann kommt in eine Stadt, die von einer hohen Mauer umgeben ist. Weder weiß er, wer er ist, noch wo er herkommt oder wo er hin wollte. Am Stadttor muss er allerdings seinen Schatten abgeben, der beim Torwärter bleiben und diesem helfen muss, Einhorn-Kadaver zu verbrennen.

Klingt abgedreht, ist es auch. Allerdings sind beide Geschichten einfach unglaublich gut erzählt und alleine das macht das Buch lesenswert. Richtig spannend wird es allerdings ab etwa der zweiten Buchhälfte, wenn klar wird, wie beide Geschichten zusammenhängen. Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht verraten, nur so viel: Das Buch lohnt sich!

Den Autor habe ich übrigens auf Empfehlung von Oliver Koch entdeckt. Inzwischen habe ich weitere Bücher von ihm gelesen, derzeit bin ich beim dritten und letzten Buch seiner 1Q84-Reihe. Ich bin sicher, weitere werden folgen. Definitiv eine Empfehlung!

In diesem Sinne, noch mehr Tipps? Gerne her damit!

 

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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