Gedankenwelten

Mobile Massage

Voll ist gar kein Ausdruck. Aber wir wussten ja, worauf wir uns einlassen. Eng ist es schließlich Samstags immer und das “Fengler” eine Kneipe, die in gewisser Weise davon lebt, dass jeder Weg zu Toilette ein Kampf und das Ordern einer neuen Runde an der Theke ein Kraftakt ist.

Voll, das kannten wir. Neu hingegen waren die beiden jungen Frauen, die freundlich lächelnd von Tisch zu Tisch gingen. Erst hielt ich sie für die typischen Promotion-Teams, die Zigaretten, Fitness-Studios oder Zeitungsabos an den Mann respektive die Frau bringen wollten. Allerdings hatten die Beiden weder Flyer noch Zeitungen bei sich, auch die sonst obligatorischen Werbeutensilien wie Kugelschreiber oder Base-Caps fehlten.

Normale Gäste waren sie trotzdem nicht. Stur gingen die Beiden von Tisch zu Tisch, erzählten, lachten, gestikulierten und zogen weiter; immer im Kampf gegen die Massen, die sich von draußen nach drinnen, vom Tisch an die Theke und von der Theke zur Toilette schoben und dabei mehr oder minder fröhlich ihren Samstag Abend genossen.

Es dauerte eine Weile und etwa eineinhalb Bier, bis sich eines der beiden Mädels an unserem Tisch stellte, vom einen zum anderen sah und dann ihren Text aufsagte.

Zugegeben, ich hätte mir allem möglichen gerechnet, aber nicht damit. Sie wolle, sagte sie und beugte sich dabei leicht nach vorne, uns eine Massage anbieten. Nacken, Schultern, Rücken, insgesamt würde es etwa acht Minuten dauern und anschließend dürften wir selber entscheiden, wie viel uns das bisschen Entspannung wert gewesen sei.

Der Gedanke war, das gebe ich wohl zu, verlockend, die Situation jedoch auch irgendwie grotesk. Alle paar Minuten drängten sich Betrunkene ungeschickt an meinem Stuhl vorbei, nur höchst dürftig überdeckte die Musik das Hintergrundrauschen von ungefähr 150 gleichzeitig geführten Gesprächen während kontinuierlich neue Gäste in die Kneipe strömten, und nun wollte mir dieses Mädel eine Massage anbieten?

Um es kurz zu machen, ich habe abgelehnt. Zugleich habe ich mich aber gefreut.
Ist es nicht schön, wenn man auch nach mehr als zwei Jahren in Berlin und in einer Kneipe nur ein paar hundert Meter von der eigenen Wohnung entfernt noch so überrascht werden kann?

In diesem Sinne, viel Spaß beim Entspannen!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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