Gedankenwelten

Leichtes Gepäck

Der 120er-Bus zum Bahnhof war trotz der frühen Stunde gut gefüllt – vor allem mit Taschen, Koffern und Rucksäcken, teilweise mit gigantischen Ausmaßen und in allen Formen und Farben. Die Zahl der Personen dagegen hielt sich einigermaßen in Grenzen. Zehn, vielleicht zwölf Leute ließen sich mit mir von Wedding in Richtung Süden zum Hauptbahnhof kutschieren.

Als wir schließlich ankamen, bin ich mir dann auch ein wenig ausgeschlossen vorgekommen. Während meine Mitreisenden teilweise schon drei Stationen vorher hektisch begannen, ihr zum Teil auf vier verschiedene Gepäckstücke verteiltes Hab und Gut zusammen zu sammeln, musste ich nur meinen kleinen Rucksack greifen. Ja, hätte ich beinahe gerufen, “ich reise gerne mit leichtem Gepäck, und ich steh dazu!

Das habe ich mir dann aber doch verkniffen, es hätte wohl etwas seltsam gewirkt. Trotzdem hat mich die schwer beladende Karawane, die da vor mir zum Bahnhofseingang trottete, weiter beschäftigt.

Wieso brauchen diese Menschen so viel, wo die meisten doch nur für ein paar Tage zu ihren Familien fahren würden? Brauchen sie da wirklich zehn T-Shirts, fünf Hosen und acht Pullover? Als ich vor drei Jahren zu meiner Reise um die Welt aufgebrochen bin, hatte ich vier T-Shirts und einen Pulli im Rucksack und bin damit sehr gut ausgekommen. Mehr als das: ich habe es als sehr angenehm empfunden, nur das nötigste bei mir zu haben. Ein großer Koffer macht einen nicht frei, sondern nur unbeweglich.

Meine SMS-Freundin hat mir kürzlich in einem Brief geschrieben, sie wäre gerne eine Nomadin. Sie hätte das Gefühl, je mehr sie hat, desto gebundener und eingeengter würde sie sich fühlen. Ich kann das gut verstehen.

Ihr Brief liest sich im übrigen an vielen Stellen wie Erich Fromms Buch “Haben und Sein”. Fromm versucht darin zu zeigen, wie die Sucht nach dem Haben in der modernen Gesellschaft das einfache Sein verdrängt habe. Zum Teil driftet er dabei arg weit ins Metaphysische ab, die Essenz seiner Argumentation lässt sich jedoch an jeder Touristenattraktion auf der Welt beobachten und nachvollziehen: Anstatt den Moment zu erleben und zu genießen (= zu sein), greifen die meisten Menschen zur Kamera, um ihn festzuhalten (= zu haben), noch bevor sie ihn erlebt haben.

Mit vier Koffern, drei Taschen ist der Weg von der Bushaltestelle zum Bahnhof mühsamer als mit nur einem Rucksack. Anders als die meisten meiner Mitreisenden konnte ich also in Ruhe den Blick auf das weihnachtlich geschmückte Regierungsviertel hinter und den mit riesigen Leuchtsternen versehenen Bahnhof vor mir genießen. Alles Nötige habe ich bei mir, aber eben nicht mehr. Irgendwie hilft mir das, mich auch sonst auf das Wesentliche zu konzentrieren.

In diesem Sinne, frohe Weihnachten schon mal!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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