Gedankenwelten

Klebstoff

Irgendwer hat einmal behauptet, die Welt sei ein Dorf. Dem stimme ich generell zu. Schon oft habe ich Menschen an den unerwartetsten Orten und unter den seltsamsten Bedingungen wieder getroffen, kamen im harmlosen Gespräch mit Bekannten plötzlich Querverbindungen zwischen Freunden und Freundesfreunden zum Vorschein oder war die Tante des Schwimmtrainers die Schwester der Mutter meiner Ferienfreundin von 1987. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass man vielen vergessenen, verschollenen oder einfach verzogenen Menschen wieder über den Weg läuft.

Gestern, beim Weintrinken mit M., ging es indirekt um eben dieses Thema. Wie so viele meiner Freunde und Bekannten ist M. gerade dabei, Ihr Studium abzuschließen. Auch der Ortswechsel ist bereits beschlossene Sache, noch dieses Jahr wird M. wieder aus Berlin verschwinden.

Ich finde das ziemlich schade, den gerade über die letzten Monate ist M. mir doch sehr ans Herz gewachsen. Sie wird mir fehlen und ich bin optimistisch, dass wir weiter in Kontakt bleiben. Allerdings hat die Freundschaft zu M. bisher noch keinen Ortswechsel überstehen müssen. Die Welt ist ein Dorf, aber aus Erfahrung weiß ich, dass es für viele Freundschaften eben nicht reicht, wenn man sich vielleicht irgendwann noch mal über den Weg läuft.

Der Freund, den ich vor ein paar Wochen in Hamburg besucht habe, ist ein Bekannter noch aus Bundeswehrzeiten. Er ist ursprünglich aus Düsseldorf und entsprechend haben wir einige Zeit nur eine halbe S-Bahn-Stunde auseinander gewohnt. Der Kontakt ist allerdings auch später und trotz diverser Umzüge nie abgerissen. Erst vorgestern war er wegen eines Vorstellungsgespräches in der Stadt. Wir waren was trinken und haben Pläne gemacht, wann und wo wir uns mal wieder länger treffen würden. Längst verbinde ich mit ihm und unserer Freundschaft keinen Ort mehr. Es ist völlig egal, wo er oder wo ich wohne.

Viele andere Freundschaften scheinen dagegen orts- oder sonstwie thematisch gebunden. Zieht der eine oder der andere weg, wechselt den Job oder das Fitnessstudio geht damit wie automatisch auch das schleichende Ende der Freundschaft einher. Als wäre die räumliche Nähe, der selbe Arbeitgeber oder Verein das einzige, was einen mit dem Anderen verbunden hat. Fehlt dieser Klebstoff, hat es auch mit der Verbindung ein Ende.

Ich frage mich, wie es wird, wenn M. aus Berlin verschwindet. Ist das, was uns jetzt zusammen hält, stark genug, das auch ein paar hundert Kilometer mehr oder weniger dem nichts ausmachen? Und wie wird es, wenn ich selber einmal aus dieser Stadt verschwinde? Welcher meiner Freunde in Berlin verdient letztlich die Bezeichnung Freund, weil die Beziehung unabhängig von den sonstigen Lebensumständen bestehen bleibt?
Vielleicht lohnt es, hin und wieder darüber nachzudenken.

In diesem Sinne, frohes Rumkleben!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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