Gedankenwelten Mitmenschen

Ich, der Spinner

2009-08-11einsteinEigentlich hätte Ironie in seiner Stimme sein müssen. Doch der Verrückte, der heute mit mir im Zug von Villingen nach Konstanz gefahren ist, schien ernst zu meinen, was er sagte. Das Kuriose dabei: Er redete eigentlich die ganze Zeit davon, dass er die Nase voll davon hätte, anderen zuzuhören und wie nervig es sei, dass die Menschen ihm permanent etwas erzählen wollten.

Ich kann das ganz gut verstehen. Ich bin nämlich ganz gut darin, seltsame Menschen anzuziehen. Als hätte ich einen Magnet verschluckt, der nicht auf Metall, sondern auf Spinner jeder Art anziehend wirkt.

Mittlerweile bin ich allerdings außerdem ganz gut darin, solche Annäherungsversuche abzublocken. Oft reicht es ja schon, mit einer gewissen Bestimmtheit laut zu sagen, dass man nun kein Interesse an einem Gespräch hat. Das tun die wenigsten Menschen, darum funktioniert es, und zumindest einige Spinner suchen beleidigt das Weite.

Manchmal habe ich allerdings ein schlechtes Gewissen dabei. Ich frage mich dann, was die vermeintlichen Irren eigentlich groß von mir unterscheidet. Sind sie wirklich so anders als Du und ich? Ich weiß nicht, wo genau die Grenze zwischen normal und verrückt verläuft, aber sie ist mit Sicherheit fließend und vermutlich auch gar nicht so weit weg, wie wir sie gerne hätten.

Frisch Verliebte zum Beispiel sind verrückt. Mal objektiv betrachtet tun sie jede Menge ziemlich dämlicher Dinge. Das selbe gilt für unglücklich Verliebte, auch wenn die ihre Verrücktheiten eher alleine begehen – gezwungenermaßen. Auch wer mal samstags morgens gegen halb fünf mit der Berliner U-Bahn gefahren ist, zweifelt leicht am gesunden Verstand der Menschheit: Vermeintlich normale Menschen zu treffen ist jedenfalls um diese Zeit keine leichte Aufgabe.

Nur: Wann wird normaler, temporärer Irrsinn zur chronischen Verrücktheit? Vielleicht passiert sowas schneller als wir denken? Abgesehen davon: Wurden nicht oft genug schon Menschen erst für verrückt – und später zu Genies erklärt?

Zugegeben, ich glaube nicht, dass meine Zugbekanntschaft in absehbarer Zeit einen Nobelpreis bekommt. Dennoch gibt es Momente, wo ich zumindest das Gefühl habe, dass wir Menschen ziemlich gut darin sind, mit Verrückt-Etiketten um uns zu werfen, ohne groß darüber nachzudenken, wen wir treffen. Verrückt jedenfalls liegt nicht selten näher als wir denken.

Außerdem: Mal ehrlich – Aus dem richtigen (oder eben falschen) Blickwinkel betrachtet bin ich jedenfalls auch alles andere als normal. Aber das nur am Rande …

In diesem Sinne, dummdidumm!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

2 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Außerdem finde ich, dass man Genies nur weil sie Genies sind nicht unbedingt Respekt oder gar Bewunderung entgegen bringen muss, nur weil sie in einer oder sogar mehreren Disziplinen unschlagbar sind, wenn sie auf der menschlichen Ebene unsagbare blöde Arschlöcher sind (siehe mein Mitbewohner, ein Genie aber kann noch nicht einmal Schaukel. Er musste es erst einmal berechnen. Danach konnte er es auch nicht, er hat wohl nicht das Gefühl mitgerechnet das man braucht und das in jeder Lebensformel enthalten ist).
    Bis bald, der Ingenieur mit Herz.
    PS.: Das war wohl das netteste Beispiel für die Unmenschlichkeit eines Genies.
    PPs.: Entschuldigt meine Bosheit, auch das kein Zeichen von Menschlichkeit im guten Sinne. Mein schlechtes Gewissen, dass mich antreibt diesen Satz noch zu schreiben, dagegen wohl doch.

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    Vielen Dank!

    dipl.-psych. Eva Lüllmann (eva.luellmann@staff.uni-marburg.de)
    cand.-psych. Sven Berendes (berendes@students.uni-marburg.de)

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