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“Fenglern”

Irgendwann war es ein Ritual. Vielleicht, weil das “Fengler” ziemlich genau in der Mitte lag zwischen der Schönhauser Allee, in deren Dunstkreis ich wohnte, und dem Teil der Prenzlauer Allee, wo ihre Wohngemeinschaft zu Hause war. Für jeden von uns binnen einer Viertelstunde zu erreichen. Logisch kann ich es sonst nicht begründen, warum wir uns immer wieder in dieser Berliner Kneipe trafen. Und warum “Fenglern” binnen kürzester Zeit zum Inbegriff für einen zwar mehr oder minder wöchentlich stattfindenden, aber dennoch besonderen Abend wurde.

Heute fehlt mir das manchmal. Dabei war das “Fengler” an sich nichts besonderes. Draußen warb (und wirbt – meines Wissens) ein übergroßes, illuminiertes, zweieinhalb Meter über der dem Kopfsteinpflaster schwebendes Bierglas für die Gaststätte. Drinnen musste man zum Tresen gehen, um ein neues Glas Bier zu bekommen. Bezahlt wurde jedes Glas einzeln. Im angeschlossenem Mini-Club gab es regelmäßig verschiedene Veranstaltungen, von denen ich nie eine besucht habe – wie ich zu meiner Schande gestehen muss. Manchmal gab es mobile Masseure, die im “Fengler” Station machten. Wenn es auf Mitternacht zu ging, kamen die Zeitungsverkäufer, um die Presse des Folgetages unter die Leute zu bringen.

Wenn wir im “Fengler” waren, haben wir am Ende meist mehr getrunken, als wir eigentlich wollten. Fast immer wurde es später, als wir vorgehabt hatten. Und wir haben Gespräche geführt, die man nun einmal nicht planen kann.

Sie wohnt inzwischen in London, ich in Karlsruhe. Aus Berlin weggezogen sind wir fast zeitgleich. Als ich vor eineinhalb Jahren im Rahmen einer Dienstreise wieder in Berlin war, war ich das erste Mal seit meinem Wegzug im “Fengler”. Hier hatte sich wenig verändert. Ich bin nicht mal sicher, ob hinter dem Tresen jemand anderes stand als damals. Nur ich war anders: Irgendwie gehörte ich nicht mehr hierher. Bis heute frage ich mich, ob das daran lag, dass sie nicht da war – oder an der Zeit, die seit damals vergangen ist.

In diesem Sinne, ich nehm noch eins, bitte!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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