Gedankenwelten

Entscheidende Momente

In dem Film “Back to the Future II” gibt es eine Szene, wo der Erfinder der Zeitmaschine, “Doc” Emmet Brown sagt, das Jahr 1955 scheine ein besonderes Jahr auf dem Zeitstrahl zu sein: eine Art Weiche oder so. Entsprechend haben Ereignisse, die in diesem Jahr ihren Anfang nehmen, sowohl im ersten als auch im zweiten Jahr der Trilogie entscheidenden Einfluss auf das Leben des Protagonisten, Marty McFly.

Einmal ist sein Existieren als solches bedroht, da seine Mutter sich in ihn, statt in seinen Vater verliebt – letztlich steht also sein Geburt auf dem Spiel und er beginnt sich aufzulösen.
Ein anderes Mal motiviert Marty seinen zukünftigen Vater George dazu, sich ein erstes Mal gegen die Gängeleien von Rowdy Biff durchzusetzen. George erlangt damit ein solches Selbstbewusstsein, dass sein gesamtes Leben einen anderen Verlauf nimmt. Marty kehrt in die Zukunft und in andere (bessere) Familienwelt zurück, in der nicht nur seine Eltern plötzlich erfolgreich sind, sondern er nebenbei noch einen netten SUV fährt.
Erstmal. Denn dann wieder ruiniert ein aus der Zukunft nach 1955 gebrachter Sport-Alamach diese Zukunft wieder. Besagter Biff bekommt dieses Buch von seinem Ich aus der Zukunft geschenkt und schwingt sich mit gewonnen Sportwetten zum Multimillionär auf und heiratet Marty’s Mutter.

Mal abgesehen von den offensichtlichen logischen Schwächen der “Back to the Future”-Reihe frage ich mich manchmal, ob es wirklich solche Momente der Entscheidung gibt. Kann etwa eine verpasste S-Bahn die eigene Richtung in der Welt auf den Kopf stellen?
Um ehrlich zu sein, ich habe keine Antwort darauf.

Gucke ich zurück, kann ich jede Menge von Zufällen und Kleinigkeiten ausmachen, die letztlich weit reichende Folgen hatten. Andererseits – vielleicht wäre ich ohne diese Dinge auf anderen Wegen ebenfalls dort angekommen, wo ich jetzt bin (oder zumindest an ähnlicher Stelle). Weil die Grundrichtung eben doch meist die gleiche gewesen wäre.

Aber man muss ja nicht immer gleich so absolut denken: gehen wir doch eine Stufe nach unten. Ich sitze am Telefon und überlege, ob ich eine bestimmte Person anrufen soll. Wir stehen am Anfang von etwas, das vielleicht eine Beziehung werden könnte, kennen uns aber noch nicht so gut, dass das völlig unbefangen von sich geht.

Ich sitze also vor meinem Telefon: Ich will nicht zu aufdringlich sein und sie gleich verschrecken. Schließlich weiß ich selbst, wie anstrengend (und abschreckend!) zu sehr klammernde Menschen sein können. Rufe ich sie jetzt an ist das vielleicht der Tropfen, der die Waage in Richtung “klammern” schwenken lässt und sie wendet sich ab.

Andererseits hat das zwischen uns in den letzten paar Tagen merklich an Fahrt gewonnen. Wir verstehen und mögen uns, sind aber eben beide keine ganz einfachen Menschen. Warte ich mit dem Anruf zu lange, riskiere ich vielleicht das, was wir aufzubauen angefangen haben. Sie ist intelligent, witzig, hübsch – ich bin definitiv nicht der einzige, der an ihr interessiert ist. Mache ich mich zu rar, verliere ich sie möglicherweise an einen meiner sicher zahlreichen Nebenbuhler.

Je länger man über so etwas nachdenkt, desto mehr Bedeutung scheint dieser eine Anruf zu haben. Oder?

Vielleicht ist es ja ganz egal, so lange die Richtung stimmt. Vielleicht gibt es so etwas wie Schicksal und je nachdem ob ich anrufe dauert es nur etwas länger oder eben kürzer, bis wir zusammen finden?

Und wenn nicht: vielleicht ist es trotzdem egal, denn egal welche Abzweigungen man im Leben nimmt, man kann nie sicher sein, wie es gewesen wäre, hätte man den anderen Weg gewählt. Ganz zu schweigen davon, dass es ja unendlich viele Wege und Kreuzungen gibt – das Leben ist schließlich voll von Mini- und Mikroentscheidungen, die einzeln oder kumuliert ihren Beitrag zum großen Ganzen leisten.

So oder so, jede Entscheidung für etwas ist zugleich eine Entscheidung gegen etwas anderes. Manchmal ist das offensichtlich, aber längst nicht immer. Dann kann man nur spekulieren, wo man gelandet wäre, hätte man sich an dieser oder jener Stelle anders entschieden.

In diesem Sinne, frohes Entscheiden!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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