Papawelten Zeitreisen

Ein Monat Papa oder: Wie ich schnell 2,5 Kilogramm verlor

Jetzt ist alles andere egal. Meine Tochter schreit selten. Aber wenn sie schreit, dann hat das einen Grund, und für den hat man als Papa alles andere stehen und liegen zu lassen. Hat sie Hunger? Ist die Windel voll? Oder möchte sie einfach nur auf den Arm genommen und ein bisschen durch die Wohnung getragen werden? Nichts anderes zählt jetzt. Das gilt für den Moment, aber im Grunde genommen auch für den Rest meines Lebens. An beides musste ich mich erstmal gewöhnen, tue es eigentlich immer noch.

Einen Monat Papa. Wenn man mit Bekannten und Freunden darüber spricht, sind sich alle mit ihrem Ratschlag einig: genieße die Zeit, sie geht viel zu schnell vorbei. Dass diese Zeit auch unglaublich anstrengend ist, sagt einem eigentlich niemand. (Co-)Schwangerschaftsdemenz, nehme ich an. Oder weil es einfach nicht so wichtig ist. Papa zu werden heißt eben, da ist nun jemand in meinem Leben, der wichtiger ist als ich selbst. Wenn ich von einer Klippe springen müsste, um meine Tochter zu retten, würde ich das ohne zu Zögern tun. Und wenn meine Tochter ein Bäuerchen machen möchte, hat das nicht Zeit, bis ich die Zeitung zu Ende gelesen oder mein Abendessen fertig gegessen habe. Wie oft ich mich in den ersten Wochen hingesetzt habe, bloß um gleich wieder aufzuspringen, kann ich gar nicht zählen. Ich sehe es nur auf der Waage:  zweieinhalb Kilogramm habe ich in dem Monat nach der Geburt abgenommen.

Ich liebe meine Tochter. Ich schmelze dahin, wenn ich sie nur anschaue. Trotzdem habe ich mich anfangs schon gefragt: Wie sollen wir das dauerhaft schaffen? Ich kenne diesen kleinen Menschen eigentlich noch gar nicht, trotzdem beherrscht er mein Leben nun zu 110 Prozent. Was hat man vorher nur mit der ganzen Zeit angefangen?

Die gute Nachricht: es spielt sich ein. Man entwickelt neue Routinen und gewöhnt sich erstaunlich schnell daran, sämtliche Aktivitäten an den zu erwartenden Essen-Schlafen-Rhythmus der Kleinen anzupassen. Schnell lernt man außerdem zu unterscheiden: müssen wir wirklich beide aufspringen oder reicht es, wenn einer von uns eben nach der Windel sieht.

Auch andere Dinge bekommen plötzlich eine ganz neue Bedeutung. Zum Beispiel Jahreszahlen. In Vorstellungsgesprächen stelle ich manchmal die Frage, wo sich der oder die Bewerberin denn in sieben Jahren sieht. Eine klassische Frage, auf die Bewerber, die sich ein bisschen vorbereitet haben, meist auch eine Antwort haben. Auch ich selbst stelle mir diese Frage von Zeit zu Zeit. Bisher musste ich sie nur für mich und meine Frau beantworten. Künftig rechne ich doppelt. Wie alt bin ich dann – und wie alt ist meine Kleine?

War das Jahr 2036 für mich bisher eher ein abstrakter Zeitpunkt irgendwann viel später in der Zukunft, weiß ich nun: in diesem Jahr wird mein kleines Mädchen volljährig. Eingeschult wird sie vermutlich 2025 und auf die weiterführende Schule wechselt sie im Jahr 2029. Sollte sie Abitur machen, ist wird das vermutlich 2037 geschehen. Im Jahr 2057 wird sie so alt wie ich war, als sie geboren wurde. Und es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass sie noch das Jahr 2100 erlebt – das damit auf einmal eine ganz andere Bedeutung bekommt.

Einen Monat Papa. 30 Tage, die mir wie ein ganzes Leben vorkommen. Und doch ist das wahrscheinlich nur ein winziger Moment, wenn ich ihn auf mein zukünftiges Leben beziehe. Mein Leben als Papa.

In diesem Sinne, auf ein ganzes Leben!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert