Papawelten

Doppelt Papa, Freundschaft und was Country-Musiker Jason Isbell über meine Tochter weiß

Der Blick der Erzieherin war ernst, sehr ernst. Sie müsse mir nun etwas sagen. Vielleicht hätte ich es ja auch schon bemerkt oder von meiner Tochter gehört. Auf jeden Fall sollte ich es wissen: “Sie sind nun nicht mehr ihr einziger Freund!”

Jetzt fing es also an. Eines der ersten Mitbringsel aus der Kita-Zeit meiner Großen war das Verteilen und, falls nötig, wieder Entziehen von Freundschaftsgraden gewesen. “Papa, Du bist mein Freund”, erklärte die damals gerade Zweijährige mit fester Stimme und sah mir dabei ernst in die Augen. Ein paar Wochen später setzte sie sogar noch einen drauf und postulierte: “Papa, Du bist mein bester, bester Freund.”. Dies teilte sie mir so feierlich mit, dass mir ganz warm ums Herz wurde.

Sie wurde auch nicht müde, es anderen Kindern gegenüber festzuhalten. Als ich sie auf dem Spielplatz das erste Mal “Mein Papa ist mein Freund” zu einem anderen, wildfremden Mädchen sagen hörte, wäre ich vor Rührung fast dahingeschmolzen.

Allerdings machte ich mir auch Sorgen. Wie das mit den Freundschaften funktioniert, hatte ich noch ganz gut aus meiner eigenen Kinderzeit im Kopf. Wer wessen Freund ist war genauso wichtig wie, wer dies eben nicht war. Natürlich musste das auch laut ausgesprochen werden, im Zweifel fragte man eben nach: “Willst Du mein Freund sein?”

Dass ich nun als Freund für meine Tochter herhalten durfte – hieß das womöglich, dass mein Mädchen sonst keinen Freund hatte? Bei aller Liebe, die mitschwang, wenn ich mal wieder feierlich zum Freund erklärt wurde, war ich vielleicht auch so etwas wie ein Notbehelf? Plötzlich sah ich es regelrecht vor mir: jedes Kind in der Gruppe meiner Tochter hat irgendeinen Freund, nur sie nicht. Trotzig und traurig erklärt sie daraufhin: “Ich habe auch einen Freund! Mein Papa ist mein Freund!”

Die Erzieherin entkräftete, unauffällig darauf angesprochen, diese Sorge. Meine Tochter sei eigentlich immer vorne mit dabei, wenn es darum gehe, mit anderen Kindern gemeinsam etwas zu unternehmen. Sie sei deshalb sehr beliebt bei den anderen.

Zunehmend klang das auch in ihren eigenen Erzählungen durch. Wenn sie davon sprach, mit wem sie geschaukelt oder etwas gespielt hatte, tauchten einige Namen öfter auf als andere. Betraten wir morgens die Kita-Gruppe, rief eigentlich immer irgendwer laut den Namen meiner Tochter, gefolgt von einem fröhlichen “ist da!”.

Einmal begegneten wir auf dem Spielplatz einem Mädchen aus ihrer Kindergarten-Gruppe. Plötzlich war ich abgemeldet. Begeistert wurde mit dem anderen Mädchen Sandkuchen gebacken und anschließend die Rutsche unsicher gemacht. Es war, als wäre ich gar nicht mehr da (auch wenn sie zwischendurch aus einiger Entfernung mit dem Finger auf mich zeigte und sagte: das ist mein Papa). Für mich ein tolles und unheimliches Gefühl zugleich. Hatte sie nicht gerade noch auf meinem Arm gelegen, weder laufen noch sprechen gekonnt und Augen einzig und allein für mich gehabt? Hatte sie nicht eben noch unsicher an ihrem ersten Kita-Tag darauf bestanden, auf meinen Arm zu dürfen und ganz eng an mich gekuschelt zu sitzen?

Wenn mir die Erzieherin nun, einige Wochen nach dieser Szene, mitteilte, dass es nun auch offiziell andere Freunde gab, hätte mich das also eigentlich beruhigen sollten. Das tat es auch. Aber es war auch ein bisschen traurig. Ist es doch auch der Anfang von etwas, das ich nicht werde aufhalten können. Irgendwann werden wir Eltern nicht mehr die wichtigsten Menschen im Leben unserer Tochter sein, zumindest nicht mehr die einzigen wichtigen Menschen.

Von dem amerikanischen Country-Musiker Jason Isbell gibt es den schönen, wenn auch etwas kitschigen Song “Letting You Go“. Darin singt Isbell, etwa so alt wie ich und ebenfalls Vater, die wunderbar-wahren Refrain-Zeilen:

“Being your daddy comes natural
The roses just know how to grow
It’s easy to see that you’ll get where you’re going
The hard part is letting you go”

Das trifft es eigentlich am ganz gut. Meine Töchter machen es mir ziemlich leicht, ein – hoffentlich – guter Vater zu sein. Manchmal kommt es mir als Vater vor, mehr Erzogener als Erziehender zu sein.

Viel schwieriger ist es, zu akzeptieren, dass diese wunderbaren kleinen Menschen mit jedem neuen Tag ein Stück weniger klein sind. Dass sie mehr und mehr ihren eigenen Weg gehen werden. Und dass dieser Weg nicht immer der Weg sein wird, den ich für richtig halte. Vielleicht ist es tatsächlich die viel größere Herausforderung, sie genau darauf vorzubereiten und dazu zu ermutigen.

In diesem Sinne, mehr Papa-Artikel gefällig? Hier sind alle bisherigen Posts gesammelt!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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