Gedankenwelten

Die Zugbegleiterin

Qantas Air scheint mich zu mögen. Auf einem recht langen Flug vor gut drei Jahren spendierte mir die Fluglinie im fast vollen Flieger nicht nur einen, sondern gleich eineinhalb Plätze. Auch dem Buchungscomputer der thailändischen Bahn muss ich irgendwie sympathisch sein. Ihm verdanke ich u.a. die Bekanntschaft mit Ania, einer äußerst sympathischen Polin, mit der ich seit einer gemeinsamen Fahrt von Nong Khai nach Bangkok vor zweieinhalb Jahren noch immer Kontakt habe.

Ganz anders die Deutsche Bahn, wie etwa hier nachzulesen. Doch zu jedem Negativerlebnis gibt es anscheinend ein Gegenstück. Banal, unspektakulär und eigentlich nicht erwähnenswert, aber trotzdem schön.

Es ist erst ein paar Stunden her, da bin ich in den von Köln nach Berlin fahrenden ICE gestiegen. Es war später Nachmittag und der halbe Zug schien zu schlafen. Auch meine vom Reservierungsystem der Bahn zugewiesene Sitznachbarin schlummerte mit leicht geöffnetem Mund vor sich hin. Dunkle Haare, trotzdem einige verloren wirkende Sommersprossen um die Nase und vor ihr auf dem kleinen Tisch ein Buch, Elementarteilchen von Houellebecq. Ich kann nicht mal sagen warum, auch wenn ich sie nicht kannte, mochte ich sie irgendwie.

Das Jacke-Ausziehen muss sie geweckt haben. Obwohl ich mich sehr bemühte, mich leise hinzusetzen, schlug sie plötzlich die Augen auf. Ich kann nicht beurteilen, ob sie mich bewusst wahrgenommen hat, denn sie schloss die Augen sofort wieder. trotzdem wurde sie für einen Augenblick unruhig. Hatte ihr Gesicht bis dahin noch leicht in Richtung Fenster gezeigt, drehte sie sich nun entschlossen in die andere Richtung.
Das Kinn leicht nach oben gestreckt und mit völlig entspannter Gesichtsmuskulatur zeigte ihre Nase nun nicht mehr auf die vorbei fliegende Landschaft sondern in meine Richtung. Auch rutschte sie, wohl nicht absichtlich, aber trotzdem merklich in meine Richtung, so dass ich beinahe oder sogar tatsächlich ihren Atem spüren konnte.

Und das war es dann auch; mehr ist nicht passiert. Außer ein paar belanglosen Sätzen als sie – in Hannover, übrigens – ausstieg, ist nichts gewesen, und ich finde das absolut OK so. Trotzdem habe ich diesen Moment, der ungefähr noch eine Viertelstunde dauerte, sehr genossen. Irgendwie schien einfach die Chemie zu stimmen. Wir kannten uns nicht, trotzdem war es schön, ein kurzes Stück erzwungener Nähe zu teilen.

In diesem Sinne, einen angenehmen Schlaf!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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