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Der Tisch ist schuld oder: Was ich von meiner 1 1/4 Jahre alten Tochter über Fehler gelernt habe

Der Tisch ist schuld. Wieso steht er auch genau da, wo sie lang laufen möchte. Tränen kullern. Zum einen wegen der kleinen Beule, die sich auf der Stirn abzuzeichnen beginnt und die bestimmt weh tut. Vor allem aber sind es Tränen der Wut. Wieso hat der böse Tisch das gemacht?

Eineinviertel Jahr ist meine Tochter nun schon alt. Seit 15 Monate ist sie auf dieser Welt, die schon die zu klein für sie zu sein scheint. Mit solch unbändiger Energie stürzt sich dieser kleine Mensch ins Leben. Alles will sie anfassen, ausprobieren, auseinandernehmen. Angst vor dem Scheitern? Kennt sie nicht. Im Gegenteil: der Gedanke, dass es an ihr liegen könnte, wenn etwas nicht so klappt,  scheint ihr völlig fremd. Sie probiert es wieder und wieder. Erreicht sie dennoch nicht ihr Ziel, wird sie wütend. Niemals auf sich selbst, sondern immer auf den Gegenstand, der sich ihr da so vehement widersetzt. Genau wie bei dem Tisch, der ausgerechnet da steht, wo sie langlaufen möchte und den sie offenbar im Eifer des Gefechts übersehen hat.

Ich bewundere das. Außerdem frage ich mich, wann ich dieses Selbstverständnis eigentlich verloren haben. Als Erwachsener weiß ich natürlich, dass nicht der Tisch schuld sein kann. Dennoch glaube ich, es wäre manchmal gar nicht falsch, dem Tisch trotzdem die Schuld zu geben.

Wenn wir als Erwachsene etwas Neues versuchen, ist uns bewusst, dass es schief gehen kann. Wir wissen, dass wir manches nicht können. Wir sind uns unserer eigenen Grenzen bewusst. Zu sehr, glaube ich manchmal.

Meine Tochter blendet diese erstmal aus. Geht nicht gibt es bei ihr nicht. Das heißt nicht, dass sie nicht aus Fehlern lernt. Aber das Wissen um die Möglichkeit, Fehler zu machen, hält sie nicht davon ab, Neues zu versuchen oder lässt sie gar an sich selbst zweifeln. Wenn es ihr nicht gelingt, alleine auf den Stuhl zu klettern, liegt das am Stuhl, nicht daran, dass sie noch ein paar Zentimeter zu klein ist. Niemals würde sie sich davon abhalten lassen, es trotzdem wieder zu versuchen oder sich bei nächster Gelegenheit an einem anderen Möbelstück hochzuziehen. Dabei wirkt sie, sieht man von den kurzen Wutphasen ab, immer fröhlich und entspannt, niemals angestrengt oder gar verbissen.

Das beeindruckt mich. Ebenso die irrsinnige Geschwindigkeit, mit der sie auf diese Weise lernt und dabei gleichzeitig immer mehr ihren eigenen Willen entdeckt. Möchte sie etwas nicht, kann sie inzwischen sowohl auf deutsch als auch auf russisch “nein” sagen. Bittet man sie, etwas zu holen oder wegzubringen, sprintet sie begeistert los und liegt meistens richtig mit dem, was sie unter dem Arm hat.

Erst kürzlich bin ich nachts aufgewacht, weil ich aus ihrem Bett Geräusche hörte. Da hatte sie sich selbstständig ein Stofftier, dass neben dem Kinderbett auf einem Stuhl lag, geangelt und zu sich gezogen, um dann darauf gekuschelt weiterzuschlafen. Nachdem sie in Florida gesehen hat, wie Mama und Papa Sonnenbrillen aufsetzen, hat sie sich in Windeseile beigebracht, ebenfalls eine Sonnenbrille auf- und wieder abzusetzen. Die Zeitung darf ich schon lange nicht mehr alleine lesen. Möchte sie dagegen ein bestimmtes Buch vorgelesen bekommen, kann sie das nicht nur aus dem Regal ziehen und mir bringen, oft trägt sie es anschließend auch wieder dorthin zurück (was freilich nichts an dem Dauerchaos ändert, das seit gut einem Jahr in unserem Wohnzimmer herrscht).

All das macht mich aber so unendlich stolz. Dabei ist mir völlig egal, ob sie mit diesen Fähigkeiten ihrem Alter voraus oder hinterher ist. Gleichzeitig weiß ich, dass das natürlich nur der Anfang ist. Von Herzen wünsche ich mir, dass sie die Unbekümmertheit und Neugier auf alles und die Welt möglichst lange beibehält. Das ist einer der wenigen Punkte, bei denen ich hoffe, sie lernt nicht zu schnell dazu. Zumindest ich bin hier nämlich nicht immer das richtige Vorbild.

In diesem Sinne, für mehr Fehler und mehr Kind und hier entlang zu noch mehr Kinder-Content!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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