Eitelkeiten Gedankenwelten

Briefgeheimnis

Mein Briefkasten hat einen recht wankelmütigen Charakter. An manchen Tagen quillt er über und bespuckt mich, wenn ich ihn abends öffne, mit Unmengen an ungewollten Stadtteilblättern, Werbeflyern und Pizzakatalogen. An anderen Tagen dagegen gähnt er mich nur leer und müde an, bloß um nur 24 Stunden später dann doch noch den lange erwarteten Brief zu präsentieren oder mir mit Hilfe einer kleinen, blauen Karte mitzuteilen, dass das bestellte Buch im Friseursalon einige Häuser weiter auf mich warten würde.

So geht das schon seit langem und ich bin ehrlich gesagt froh, dass mein Briefkasten zwar spucken, aber noch nicht sprechen kann. Immerhin erfährt er, auch ohne dass er die Inhalte der Briefe kennt, doch eine ganze Menge von mir. Er weiß, wenn ich mich irgendwo beworben habe oder erkennt an der dicke Umschlags, den er später in Empfang nehmen durfte, ob ich erfolgreich war.

Jeden morgen ist er noch vor mir über das politische Weltgeschehen informiert, weil er traditionell die Zeitung zuerst liest. Er weiß, welche Periodika ich neben der Tageszeitung sonst so zu konsumieren gedenke und kann am entsprechenden Bescheid erahnen, wie pünktlich ich meine Steuererklärung mache. Sogar wo ich studiert habe weiß er und dank schreibfreudiger Freunde weiß er bei viele von ihnen, wo sie wohnen oder zumindest wohin sie in den Urlaub fahren.

Manchmal finde ich das unheimlich. Zumal ich so fast gar nichts über meinen Briefkasten weiß. Andererseits stelle ich aber auch immer wieder fest, wie sehr man sich beim Einschätzen anderer Menschen irren kann. Da mag alles vorher noch so gut ins Bild gepasst haben – am Ende wird man doch wieder überrascht, weil jemand sich plötzlich doch ganz anders verhält, als man es erwartet hatte, und damit jede vorherige Einschätzung auf einen Schlag über den Haufen wirft.

Wer weiß, vielleicht werde auch ich meine Briefkasten demnächst ganz schön überraschen …

In diesem Sinne, vorsicht mit den Schubladen!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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