Mitmenschen

Der Zuhörer

In Karlsruhe steppt der Bär. Findet sie. Sehr laut. Außerdem kann sie nicht verstehen, warum ihre Freundin sie nicht übers Wochenende besuchen kommen will. Keine zehn Minuten haben wir zusammen in der Bahn gesessen, und doch weiß ich nun mehr über sie, als ich jemals zu fragen gewagt hätte.

Handy-Telefonate mithören zu müssen nervt vor allem deshalb, weil unser Gehirn permanent versucht, die fehlende Hälfte des Gesprächs zu ergänzen. Ob wir wollen oder nicht, jemandem beim Telefonieren zuzuhören, ist für unseren Kopf Schwerstarbeit. So habe ich es jedenfalls mal irgendwo gelesen. Ich finde die These ganz einleuchtend. Sie erklärt nämlich auch, warum es uns viel weniger auf die Nerven geht, wenn wir unfreiwillig ein normales Gespräch mitbekommen. Hier hören wir ja beide Seiten und müssen nicht rätseln.

Ganz anders das Telefonat besagter jungen Frau heute Abend in der Bahn. Allein die Frage, wann das Gegenüber am anderen Telefon überhaupt zu Wort gekommen ist, wird mir sicher noch lange schlaflose Nächte bereiten. Andererseits erklärt eben diese Einseitigkeit vielleicht, warum die Freundin am anderen Ende sich partout nicht breitschlagen lassen wollte, über Pfingsten nach Karlsruhe zu kommen. Und das obwohl:

  • am Sonntag ein totaaaaal toller DJ auflegt
  • sie (die Telefoniererin) hier in einer totaaaaaal coolen Szene ist, zu der sie (jetzt die andere Frau am anderen Telefon) ebenfalls totaaaaaal gut passen würde
  • dass sie schon am vergangenen Wochenende eine totaaaaal geile Zeit gehabt hätten
  • hier überhaupt totaaaaaal viel mehr los ist als in Donau(eschingen?)
  • und das überhaupt und sicher totaaaaaal chillig werden würde

Am Ende betonte meine telefonierende Zugbegleitung noch, dass es total schön sei, dass man nach so vielen Jahren endlich wieder Kontakt habe. “Aber jetzt hast Du ja meine Nummer, und ich habe Deine. Da können wir jetzt ja öfter telefonieren.”

In diesem Sinne, Fortsetzung folgt?

PS: Unglaublich, aber wahr – das Foto zu diesem Beitrag zeigt mein Ohr ohne Handy an selbigem. Dafür wurde die Aufnahme aber mit meinem Telefon gemacht.

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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