Gedankenwelten

Traumpfade

Meine kleine Schwester kann ein ziemlicher Dickkopf sein. Es ist schon ein paar Jahre her, und sie war gerade dabei, ihr Abitur zu bauen, da hatte sie sich in den Kopf gesetzt, als Au Pair für ein Jahr ins Ausland zu gehen. Das war ihr großes Ziel, und selten habe ich sie so engagiert gesehen. Fast im Alleingang hat sie alles organisiert. Eine entsprechende Organisation kontaktiert, sich eine Gastfamilie gesucht usw. Kaum hatte sie ihr Abi in der Tasche, saß sie im Flieger nach New York.

Wieder zurück und nach einigem Hin und Her entschied sie sich dann, eine Ausbildung zu machen. Ich habe ihr bei der Bewerbung geholfen und bin dabei über einen Satz gestolpert: “Nach dem Abitur habe ich mir meinen größten Traum erfüllt: für ein Jahr als Au Pair in die USA.” Ich habe einen Moment darüber nachdenken müssen, ihr dann aber geraten, den Satz zu streichen oder zumindest umzuformulieren. Wie sieht es denn aus, wenn sie ihrem vielleicht zukünftigen Arbeitgeber suggeriert, mit 20 schon alles erreicht zu haben, was sie vom Leben wollte?

Sie hat den Satz dann auch tatsächlich umformuliert, aus dem Kopf gegangen ist er mir trotzdem nicht mehr.
Was, wenn man einen Traum erfüllt hat und noch kein neuer an dessen Stelle getreten ist?
Wie viele Träume braucht man überhaupt?
Muss man vielleicht unterteilen, Langzeitträume, mittelfristige Träume, usw?
Kann man Träume vielleicht sogar züchten?

Gucke ich mir mein eigenes Leben an, war ich bisher ganz gut mit dem Verwirklichen meiner Pläne. So wollte ich zum Beispiel, seit ich denken kann eigentlich, immer mal Fallschirmspringen. Außerdem war mein Ziel, in einen Buchladen gehen und ein Buch von mir kaufen zu können. Beides habe ich mittlerweile geschafft, auch wenn das mit der Buchveröffentlichung so eine Sache ist (ist halt so ein books-on-demand-Ding, ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das zählen lasse).
Eines meiner nächsten Ziele ist für ein Jahr durch Südamerika zu reisen. Einen großen Bogen von Bogota über Quito bis runter nach Feuerland, dann wieder nordwärts bis nach Rio, eventuell sogar noch weiter. Zwei Monate mit dem Rucksack durch Argentinien (mit ein wenig Brasilien und Chile) haben mich für den Kontinent begeistert, jetzt will ich mehr.

Es wird sicher noch ein paar Jahre dauern, bis ich diesen Traum verwirklichen kann. Erstmal habe ich ohnehin andere Ziele. Trotzdem bin ich sicher, dass ich das irgendwann tun werde. Daran erinnert mich unter anderem eine Karte, die ich aus einer Laune heraus in mein Notizbuch gekritzelt habe.

Allerdings fürchte ich mich auch ein wenig vor der Verwirklichung dieses Traums.
Was mache ich danach? Oder habe ich dann längst ein neues Ziel in mein Notizbuch gemalt?

Meine stille Hoffnung ist ja, dass sich das Traum-Reservoire, dass es bestimmt für jeden irgendwo gibt, nie ganz erschöpfen lässt. Vielleicht ändert sich das Ausmaß der Träume, vielleicht auch irgendwann die Qualität, aber ganz versiegen wird der Fluss hoffentlich nie.

Meine Schwester hat die Stelle übrigens bekommen, zufrieden war sie allerdings nicht damit. Nach neun Monaten als angehende Reiseverkehrskauffrau hat sie gekündigt. Jetzt sie studiert mit viel Freude an einer großen, hässlichen Uni in Nordrhein-Westfalen. Ein neuer Traum, glaube ich.

In diesem Sinne, viel Erfolg beim Einschlafen und Träumen!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

3 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Hallo Träumerchen…;-)
    Ich glaube auch, dass man niemals aufhört daran zu arbeiten sich neue Träume zu erfüllen oder neue Ziele zu entwickeln….man muss halt nur dafür sorgen dass an die Stelle eines gelebten Traums ein neuer tritt. Ich denke das geschieht ganz automatisch.
    Ist es denn nicht manchmal auch so, dass man erst im Nachhinein feststellt, dass man mitten dabei ist einen großen oder kleinen Traum zu (er-)leben. Oder fällt es einem nicht sogar manchmal nachher erst auf, wenn alles schon wieder vorbei ist?
    Ich kann nur sagen dass ich mir im Großen und Ganzen den Traum von meinem AuPair Jahr erfüllt habe.. Ich beim Zurückblicken darauf jedoch fest stellen muss, dass es mir wiederum nicht 100%ig geglückt ist. Heute würde ich vieles anders machen….ich hätte dort viel mehr Chancen genutzt. Aber ist das nicht vielleicht wiederrum eine neuer Traum den ich nur rückblickend auf dieses Ereignis entwickelt habe? Also kann man vielleicht sagen, dass es aus meiner Perspektive mit 19 Jahren kurz nach dem Abitur, eine gelungene Verwirklichung meines Traumes war.
    Heute, mit fast 24 Jahren ist es eher so etwas wie ein gut gelungener Versuch dessen.
    Was mich dazu bringt so darüber zu denken weiß ich nicht, aber vielleicht werde ich es irgendwann mal herausfinden. Im Moment bin ich eher damit beschäftigt neue Träume auf zu bauen ;-)

    PS: Ich kann im Übrigen immer noch sehr engagiert und zielstrebig sein….das wird mir leider von meinem Mitmenschen immer nur negativ als stur und emotional ausgeschrieben. ;-)

  2. Ich frage mich, ob man immer einen großen Traum braucht, dem man hinterherläuft. Vielmehr kann man doch auch einen Traum leben, der weiterbesteht, sich weiterentwickelt.
    Im Moment habe ich keinen großen Traum, den ich irgendwann in der Zukunft verwirklichen will. Ist das nun langweilig? Ich hab mir durch die Reise einen großen Traum efüllt, an dessen Stelle noch kein neuer getreten ist. Trotzdem bin ich glücklich. Ich glaube, wichtig ist nicht, dass man große Träume hat, sondern dass man nicht stagniert im Leben. Dabei können Träume eine Hilfe sein. Es kann aber auch anders gehen.

  3. Also erstens glaubt man ja mit 19, dass das Leben mit 25 eh schon irgendwie vorbei ist.
    Außerdem denkt Mensch, glaube ich, eh in Etappen. Also nie mehr als vielleicht 5 Jahre im Voraus. Alles weitere würde wahrscheinlich den Verstand sprengen.
    Das heißt also weiter, dass auch die Erfüllung von Träumen auf gewissen Zeitrahmen begrenzt ist.
    Wenn der Traum dann subjektiv auch noch ziemlich groß ist, dann hat man auch keine Kapazitäten frei für mehrere Träume, sondern ist mit dem einen voll und ganz ausgelastet.
    Geht dieser Traum dann in Erfüllung, dann braucht man wahrscheinlich auch erst einmal eine Traum-Erholungs-Pause.
    Erst danach wird sich wohl der nächste große Traum entwickeln können.

    Zweitens gibt es bestimmt auch Menschen, die in ihrem Traum hängen bleiben. Ihren Traum also leben und fortan so zufrieden sind, dass weitere Träume gar nicht nötig sind.

    bunteGrüße
    deineSteffi

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