Gedankenwelten

Punkmusik

Die meisten Menschen kommen her, um Geld zu holen. Sie tun das, indem sie eine kleine, mit einem Magnetstreifen versehene Plastikkarte in einen schmalen Schlitz stecken und anschließend ein paar Zahlen eintippen. Dann rattert es einen Moment, und wie von Zauberhand spuckt ein weiterer schmaler Schlitz die gewünschten Euros aus.

Andere kommen ohne Karte und Zahlen. Sie holen Geld, indem sie die anderen Leute bitten, ihnen doch bitte etwas mitzubringen, einen Euro zum Beispiel. Diese Menschen sind oft auffälliger gekleidet als die Kartenbesitzer und treten nicht selten in größeren Gruppen und in Begleitung vierbeiniger Freunde mit Namen wie „Whiskey“, „Töhle“ oder schlicht „Komm her!“ auf.

Während die Kartenbesitzer meist nach dem Geldholen wieder verschwinden scheinen die Hundebesitzer die sterile Atmosphäre der Sparkassen als angenehme Abwechslung zu empfinden. Nicht selten bleiben sie stundenlang. Auch nennen sie die Sparkassen meist nicht Sparkassen, sondern ziehen den Begriff Spaßkasse vor, was wohl irgendwann mal ein lustiges Wortspiel war, mittlerweile aber eher albern klingt.

In der näheren Umgebung meiner Wohnung gibt es gleich mehrere Sparkassen, wo zum Teil sogar sparkasseneigenes Sicherheitspersonal dafür zu sorgen versucht, dass das ‚r‘ nicht zum ‚ß‘ wird. Das mit grimmigen Blick und Barrett ausgestattetes Personal ist allerdings in der Regel nur an einer der Sparkassen präsent, weswegen die anderen spätestens ab dem Nachmittag dann doch von einer Gruppe interessant gekleideter Figuren und ihren Hunden okkupiert werden.

Weil ich hier recht oft vorbei komme, etwa auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen und zurück werde ich, obwohl ich nicht mal Sparkassenkunde bin, recht oft gebeten, mein Kleingeld mit den Spaßkassenfreunden zu teilen. Im Großen und Ganzen läuft das immer gleich ab: ein lustig dreinschauender Punk tänzelt fröhlich auf dem Bürgersteig hin und her und wedelt dabei mit einem Pappbecher, in dem meist auch schon einige Münzen klirren. Im Hintergrund sitzen seine fünf bis fünfzig Freunde, trinken Bier (Sternburg) und unterhalten sich mit „Whiskey“, „Töhle“ und „Komm her!“.

Ich gebe nichts. Schon aus Prinzip widerstrebt es mir, jemanden Geld zu geben, das ich mir zuvor erarbeitet habe, während dieser jemand sich aus Prinzip entschieden hat, nicht zu arbeiten. Trotzdem bin ich heute fast stehen geblieben, als ich von der Arbeit nach Hause kam. Statt der üblichen fünf bis zehn Punks saß nur einer auf dem Bürgersteig vor der Spa r/ß kasse, statt „Komm her!“ hatte er eine Gitarre bei sich, die er inbrünstig bearbeitete.

Langsam, aber stilsicher ließ der einsame Punk seine rechte Hand wieder und wieder über die abgegriffenen Seiten streichen, während er mit links abwechselnd D-Dur und G-Dur griff. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff: der Anfang von Blowing in the Wind!
Allerdings sang der Punk nicht, weder vom Wind noch von sonst etwas. Statt dessen wiederholte er enthusiastisch immer die selben Worte: Etwas-Kleingeld?-Eine-kleine-Spende?-Etwas-Kleingeld-… Punkmusik, würd ich sagen.

In diesem Sinne, viel Spaß am Geldautomat!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

1 Kommentar Neues Kommentar hinzufügen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert