Fremde Federn Gedankenwelten

Mitte 37

Endlich bin ich da, wo ich mich ohnehin schon immer gesehen habe. Das sagt jedenfalls die Forschung. Mit 37 Jahren hat man genauso viele ältere wie jüngere Menschen um sich, haben amerikanische Wissenschaftler ausgerechnet. Man befindet sich also dem Alter nach erstmals tatsächlich genau da, wo man sich ohnehin immer schon gesehen hat: in der Mitte. Nicht alt, aber auch nicht jung. Das sagt jedenfalls das Süddeutsche Magazin.

Mir erscheint das schlüssig. Ich bin ohnehin überzeugt, dass die meisten Menschen sich bei den meisten Fragen irgendwo in der Mitte verordnen. Das fängt schon in der Schule an. In jeder Schulklasse gibt es die Coolen, es gibt die Streber und die Unangepassten. Man selbst hat natürlich zu keiner dieser Gruppen gehört, sondern war eher irgendwo in der Mitte. Ähnlich ist es bei der Einordnung der eigenen Leistung in vielen anderen Bereichen. Gefühlt ist da immer jemand, der einen besseren Job macht – aber auch mindestens einer (eher mehr), die weniger Leistung bringen. Man selbst ist also wieder einmal irgendwo dazwischen – in der Mitte eben.

Komisch an der ganzen Sache ist nur, dass es ja offenbar allen (oder zumindest fast allen) so zu gehen scheint. Befragen Demoskopen zum Beispiel eine repräsentative Gruppe Menschen, ob sie für eine höhere Besteuerung der Einkommen von Besserverdienenden sind, bekommen sie regelmäßig eine deutliche Mehrheit – weil kaum einer der Befragten sich selbst als Besserverdienenden sieht. Die meisten Menschen sehen sich eher in der Mitte, abweichend höchstens noch in der „unteren“ oder „oberen“ Mittelschicht.

Das ist zu kompliziert? Es geht auch einfacher: Man frage einfach mal jemanden in seinem Bekanntenkreis, der etwas besonders gut an, ob er selbst auch der Meinung ist, eben diese Sache gut zu können. Jede Wette, die Person wird früher oder später anfangen, Menschen aufzuzählen, die noch besser sind? Und selbst wenn es die nicht gibt, gibt es ja immer noch jemanden, der es zumindest besser hat, weil er eben diese Sache dafür ganz ohne Leistungsdruck tun kann.

So ist das eben. Irgendwie ist man irgendwo immer in der Mitte. In diesem Sinne …

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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