Ich habe schon immer einen Faible für kurz gefasste Lebensläufe gehabt. Ich mag es, wenn ganze Jahrzehnte auf ein paar Sätze zusammengedampft werden, wie gerade massenhaft geschehen am Beispiel von Joseph Biden, dem von Barack Obamas erwählten Vize, oder auch zu Madonnas Fünfzigstem Geburtstag Anfang der Woche.
Dabei sind es nicht nur Berühmtheiten oder wenigstens potenzielle Vizepräsidenten, deren Leben dank der Raffung plötzlich viel spannender, interessanter oder wenigstens: weniger banal klingt. Auch wir Otto-Normal-Bürger kommen dank moderner Technik in diesen Genuss kommen.
In einem Anflug von Melancholie habe ich mich vorhin durch die Kontaktliste meines Xing-Profils geklickt. Xing, das ist eine Business-Plattform, die je nachdem, wen man fragt, entweder der Pflege beruflicher Netzwerke oder der Hinterherschnüffeln nach Ex-Freundinnen dient (wenn Ihr mich fragt: beides stimmt ein bisschen).
Mitglied werden kann jeder. Man legt ein Profil an, das neben einem Foto und einem “Ich suche” und “ich biete” vor allem den beruflichen Werdegang enthält. Jede Station wird auf die Fakten reduziert, die Aneinanderreihung beschränkt sich auf Stationen, die Gründe für die Veränderungen werden völlig ausgespart. Wie wohl bei jedem Lebenslauf müssen vermutlich außerdem gewisse Übertreibungen eingerechnet werden – mit “eigenverantwortlich” kann man schließlich auch die selbständige Betätigung eines Lochers umschreiben.
Nichts desto trotz ist es faszinierend, den Lebensweg von Freunden und teilweise längst aus dem Leben verschwundenen Bekannten nachzuvollziehen. Bezeichnend ist oft schon, wie sich das eingestellte (Bewerbungs-)Foto über die Jahre verändert hat.
Auch das eigene Leben liest sich plötzlich ganz anders, wenn man es auf die wenigen dargestellten Fakten reduziert. Nirgends steht etwas von den kleinen, persönlichen Triumphen, die keine Berufsbezeichnung tragen, oder denen, die zwar eine hatten, denen schlichtes Niederschreiben eigentlich gar nicht gerecht wird, weil sie so mühsam erkämpft worden sind.
Trotzdem: Wenn ein Leben auf wenige Zeilen komprimiert wird, beeindruckt das meist mehr, als wenn man ein ganzes Buch dazu verlesen hätte. Gerade weil Zweifel, Zaudern und Kampf zu Gunsten des Gesamtwegs verschwimmen, weil man auf einen Blick sehen kann, wohin das alles geführt hat, scheint Zusammenfassung trotz etwaiger Umwege geschliffener und schöner.
Eine besonders schöne Form des kurz gefassten Lebenslaufes stammt übrigens aus der Feder eines berühmten Schriftstellers. Erich Kästner beendet sein 1930 veröffentlichtes Gedicht, “Kurzgefasster Lebenslauf”, mit folgenden passenden Worten: “Zusammenfassend lässt sich etwa sagen: Ich kam zur Welt und lebe trotzdem weiter.”
In diesem Sinne, viel Spaß beim Zusammenfassen!