Gedankenwelten

Herzliches Beileid

“Die Kids heute sind komisch”, sagte die Frau, “meine Älteste wird nächste Woche 20 und es würde mich nicht wundern, wenn ihre Freunde Ihr statt Herzlichen Glückwunsch nur Mein Beileid wünschen. Die tun heutzutage ernsthaft so, als wären sie uralt und ihr Leben zu Ende, wenn aus der eins eine zwei wird.” – “Die sind komisch heute”, entgegnete ihre Freundin, “was wollten die denn dann machen, wenn Sie 50 werden?”

Ich habe mir dieses Gespräch nicht ausgedacht, es hat tatsächlich so stattgefunden. Es muss vor etwa zehn Jahren gewesen sein, als ich die beiden Damen in der Wuppertaler Buchhandlung “Nettesheim” miteinander reden hören hab. Ich war damals selber gerade 18 geworden war und hatte noch zwei Jahre Zeit, bis mir die ersten Beileidsbezeugungen drohen würden. Trotzdem habe ich den Dialog notiert. Vielleicht weil ich einfach wissen wollte, ob es mir ähnlich gehen würde.

Aus gegebenen Anlass – ich habe morgen Geburtstag – denke ich gerade wieder über das älter-Werden nach. Gleichmal vorweg: so schlimm, dass ich auf Beileidskarten hoffe, ist es nicht. Trotzdem grübel ich gerade über das Eine oder Andere. Etwa über das, was ich schon in Urlaub vs. Leben und in Anfänge angerissen habe: je weiter man kommt, desto schwerer fällt die Umkehr, der Neuanfang und sogar der Richtungswechsel. Je mehr Zeit man hinter sich lässt, desto weniger bleibt vor einem übrig.

Während die Restzeit schwindet, wächst zugleich der Berg der Erinnerungen (was jetzt nicht so pessimistisch gemeint ist, wie das Wort Restzeit vielleicht impliziert, ich hoffe nämlich durchaus, noch ein paar mehr Jahre vor mir zu haben). Das Komische ist, dass ich schon jetzt das Gefühl habe, als sei dieser Berg mindestens ein kleiner Mount Everest – wie wird das erst sein, wenn ich wirklich einmal alt bin? Verschwimmen dann nicht mehr die Jahre in meinem Gedächtnis, wie sie es jetzt schon manchmal der Fall ist, sondern die Jahrzehnte?

Ich bin ehrlich gesagt gespannt und auch ein wenig in Sorge.
Kann man das Gefühl haben, gelebt zu haben, wenn man sich nicht mehr richtig daran erinnern kann?

In diesem Sinne, immer ordentlich alles aufschreiben!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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