Desillussionierend Fremde Federn

Herr Rossi

Wir sind Herr Rossi. Das behauptet jedenfalls Florentine Fritzen. Die hat ein Buch mit dem schönen Titel “Plus minus 30 oder die Suche nach dem perfekten Leben” geschrieben. Darin kommt Herr Rossi zwar nicht direkt vor, der kleine italienische Mann mit Hut bringt den Inhalt aber ganz gut auf den Punkt – er sucht schließlich schon seit den 1970-ern das Glück.

Frau Fritzens Buch erscheint erst morgen, einen Vorgeschmack gab es aber schon gestern in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. “Wir sind noch nicht alt und suchen das Glück”, heißt es da gleich zu Beginn. “Leider haben wir keine Ahnung, wo es sich versteckt. Deshalb gehen wir auf unserer Suche systematisch vor: Wir bemühen uns einfach, überall perfekt zu sein, und hoffen, dass sich das Glück dann von selbst einstellt.”

Diese systematische Glückssuche ist uns natürlich nicht wirklich bewusst, unser Streben nach Glück ist subtiler. Florentine Fritzen vergleicht es in ihrem Buch mit einer Coupon-Sammlung: Traumreise – ein Coupon, Traumjob – noch ein Coupon, Traumpartnerschaft – wieder ein Coupon. Wie ein Panini-Sammelalbum. Man muss nur genügend Kartenpäckchen kaufen, irgendwann sind alle Leerstellen gefüllt …

“Plus minus 30” beleuchtet das, was ich an dieser Stelle salopp mit der Neon-Generation bezeichnen möchte. De Jure längst volljährige, meist einigermaßen gut ausgebildete Menschen, die sich trotzdem standhaft weigern, in letzter Konsequenz erwachsen zu werden – auch wenn sie längst Ende 20 oder sogar Anfang 30 sind. Erwachsen zu sein, das heißt schließlich, sich für einen Weg zu entscheiden – und das wollen wir um jeden Preis vermeiden: “Im Studium haben wir uns daran gewöhnt, mehrgleisig zu fahren. Deshalb macht es uns jetzt Angst, dass sich immer mehr Möglichkeitsfenster schließen.”

An allen Fronten so viele Glückspunkte sammeln wie irgend möglich, so lautet die Devise. Die Idee, dass die Vorsilbe “Traum-” nicht alles ist, was zählt, scheint uns nicht zu kommen. Schade eigentlich. Ich habe nämlich den Verdacht, dass wir gerade durch das krampfhafte Streben nach Glück und Perfektion das Wichtigste verpassen.

In diesem Sinne, wie wäre es mit etwas mehr Mut zur Lücke?

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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