Gedankenwelten

Disneyland

Es ist schwer, sie aus dem Kopf zu kriegen, denn sie sind überall! Nicht nur in der U6, wo sie mir heute wieder besonders aufgefallen sind, die ganze Stadt ist voll mit ihnen! Oft verrät sie der orientierungslose Blick, meist der gezückte Stadtplan und die Kamera in der Hand: Touristen!

Auf rund 17,5 Millionen schätzt die Berlin Tourismus Marketing GmbH die Zahl der Übernachtungen im letzten Jahr. Rekord – und ich bin mitten drin.

Nachdem ich mehr oder weniger den ganzen Tag damit verbracht habe, eben diese Übernachtungen auch für 2008 möglich zu machen (gefühlt mindestens 17,5 Millionen!) war ich anschließend noch kurz im Hostel um J., einer meiner liebsten Kolleginnen an der Rezeption, einen Besuch abzustatten. Es war recht viel los, die ganze Welt scheint gerade damit beschäftigt, sich Berlin anzugucken. Ich bin nicht lange geblieben, habe es aber genossen.

Anschließend habe ich mich über das Glatteis zur U-Bahn vorgekämpft und mich gewundert, dass es mich gar nicht mehr wundert, dass der Zug praktisch voll war mit Leuten, die ganz offensichtlich nicht aus Berlin waren:

Die spanischen Mädels, die sich neben mich auf die Plätze nahe der Tür quetschten und kichernd versuchten, in meinem (englischen) Buch mitzulesen.
Die Gruppe Italiener, die wild gestikulierend ihr Samstag-Abend-Ziel diskutierten.
Die arg jung aussehenden Engländer, die eigentlich schon viel zu betrunken schienen, um ernsthaft noch den PubCrawl an der Oranienburger in Betracht zu ziehen.

Wie gesagt, für mich ist das mittlerweile beinahe selbstverständlich, und ich bin manchmal selbst etwas irritiert, wenn ich automatisch auf englisch antworte, bloß weil mich Menschen ansprechen, die einen Stadtplan – oder ähnliches – in der Hand halten (auch wenn ich auf Deutsch angesprochen werde). Jedes Mal fühle ich mich daran erinnert, dass ich in einer Stadt lebe, die für andere eine Art Ferienland respektive Städtetrip ist (und für den einen oder anderen US-Amerikaner wohl eine Art Disneyland mit historischen Bezügen).

Irgendwie ist es komisch: für einen Großteil dieser Menschen lebe ich an einem Ort, der für sie in nicht all zu ferner Zukunft vor allem ein Bild in ihren Fotoalben sein wird. Und auch wenn ich weiß, dass sicher auch der eine oder andere Berliner mit mir in der U-Bahn gesessen hat, kam es mir heute abend wieder mal vor, als wäre ich der einzige gewesen, der nicht bald weiter- oder nach Hause reisen wird. Ein komisches Gefühl.

In diesem Sinne, Gruß von dem Mann von dem Foto!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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