Ravensburg Zeitreisen

Die Mitte

In Berlin habe ich diese Frage immer gehasst: wo es denn zum Zentrum gehe. Bestimmt tausend Mal habe ich diesen Satz gehört, als ich noch als Nachtportier gejobbt habe. Dabei hat Berlin, um es noch einmal zu betonen, hat keine echte Mitte, sieht man mal von dem so heißendem Stadtteil ab – und der umfasst immerhin fast 40 Quadratkilometer. 

In Ravensburg ist das anders: meine neue Heimat kann zwar nur mit einem Siebzigstel der Einwohner der Hauptstadt aufwarten, hat aber dafür ein echtes Zentrum: wie eine Art bauchiger Schlauch ruht der Marienplatz zwischen Ober- und Unterstadt der Altstadt. Gesäumt von Cafés und Restaurants, dem Rathaus und dem Gericht bietet er das, was viele Berlin-Touristen in der Hauptstadt ob der leichteren Orientierung wohl gern gehabt hätten: eine echte Stadtmitte.

Ich gebe zu, ganz entziehen kann ich mich seinem Reiz nicht. Ein, zwei Stunden in einem der Cafés reichen, und die komplette Stadt ist mindestens zwei mal an einem vorbei gezogen – einmal ohne und einmal mit vollgepackten Einkaufstüten. Insbesondere Samstags scheint sehen und gesehen werden ohnehin das Motto der Ravensburger zu sein. Die ganze Stadt flaniert dann artig herausgeputzt und mit sicherem Schritt durch die engen Gassen rund um den Marienplatz, bloß um letztlich doch immer wieder auf selbigen zu landen. Das hat schon was.

Zumindest am letzten Samstag habe ich mich, wie ich so am späten Nachmittag in einem der Cafés auf dem Marienplatz saß und ein kaltes Weizenbier genossen hab, dann aber doch für einen Moment an Berlin erinnert gefühlt. Der Grund war ein Mann, der nach kurzem Zögern an meinen Tisch trat. Ob ich eine Obdachlosenzeitung kaufen würde, wollte er wissen.

Komisch, eigentlich, denn eigentlich gibt es so etwas hier gar nicht. Aber vielleicht habe ich das alles ja auch bloß geträumt. 

In diesem Sinne, viel Spaß beim Aufwachen!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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