Gedankenwelten Tresenweisheiten

Die Gummibandtheorie

Es ist eine dieser Fragen, die man eigentlich nicht objektiv beantworten kann. Zu der man höchstens Meinungen äußern, über deren richtige Beantwortung man aber niemals absolute Gewissheit erlangen kann. Eine dieser Fragen, über die es daher im Grunde genommen immer mindestens so faszinierend wie frustrierend ist zu diskutieren.
Getan haben wir es trotzdem, denn offenbar eignen sich gerade solche ambivalenten Fragen hervorragend für das Gespräch mit einem Freund, mit dem man zwar nur sporadisch telefoniert, dann aber um so tiefschürfender.

Welche Bedeutung hat die einzelne Entscheidung für das Leben als Ganzes?

Kann sie dem Leben, wie hier schon einmal angedacht, eine völlig neue Richtung geben? Oder drehen wir mit einzelnen Entscheidungen höchstens an den Schrauben für die Feinjustierung, weil a) ohnehin die Richtung durch zu viele äußere Faktoren weitestgehend vorgegeben oder b) nur eine konsequent verfolgte Entscheidungskette wirklich zu einer Veränderung führt.

Vor etwas mehr als zwei Jahren habe ich ein ausgesprochen attraktives Jobangebot abgelehnt. Ich hatte nicht viel Zeit für diese Entscheidung, denn dem Einstellungstest und Vorstellungsgespräch folgten noch am selben Abend ein Anruf des verantwortlichen Chefredakteurs einer größeren deutschen Zeitung. Er eröffnete das Gespräch mit den Worten: „Wenn Sie jetzt ‚ja‘ sagen, dann haben sie den Job“.

Ich habe ‚Nein‘ gesagt. Zugegeben, das hat nicht nur besagten Chefredakteur, sondern auch den Großteil meiner Freunde, meine Familie und letztlich sogar mich selbst überrascht. Trotzdem schien es mir in diesem Moment die richtige Wahl zu sein. Doch was, wenn ich mich geirrt habe?

Mir macht die Vorstellung Angst, mein Leben möglicherweise mit einer einzelnen Entscheidung in eine bestimmte Richtung gelenkt zu haben, die nicht mehr umkehrbar, aber letztlich doch falsch ist. Die, vielleicht in abgeschwächter Form, klassische verpfuschtes-Leben-Geschichte zu leben, die man aus diversen amerikanischen Spielfilmen kennt (das Happy End besteht dann meist darin, dass die vermeintlich gescheiterte Existenz im Alleingang und via Kampfjet oder einem ähnlichen Vehikel die Welt rettet und doch alles wieder gut ist, wobei nur leider der Held der Dramaturgie wegen dran glauben muss).

Besser finde ich da die Gummiband-Theorie: Ein Gummiband hat eine bestimmte Form. Man kann es zwar in die eine oder andere Richtung zerren, muss dazu aber Kraft aufwenden, je stärker man es verbiegen will, desto stärker. Letztlich wird das Gummiband aber wieder in seine alte Gestalt zurück schnallen.

Vielleicht funktioniert das mit dem Lebensweg ganz ähnlich? Zwar sind Modifikationen möglich, letztlich wird man sich aber doch immer in seine Ursprungsform zurückfinden, wie sie einem durch seinen Charakter usw. in gewisser Weise vorgezeichnet ist? Wie das Gummiband kann man nicht anders.

Schade nur, dass auch diese Theorie zwei Seiten hat. So beruhigend, wie sie bezogen auf oben beschriebene Entscheidungen wirken kann, so deprimierend wäre die andere Seite der Medaille: würde sie doch den eigenen Willen marginalisieren.

Die Lösung? Vermutlich mal wieder irgendwo in der Mitte.

In diesem Sinne, nicht zu kräftig ziehen!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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