Gedankenwelten

Der Reißverschluss

Die Handtasche einer Frau ist ein Mysterium. Selbst die von außen eher unscheinbaren, kleineren Modelle scheinen schier unbegrenzten Stauraum zu bieten. Angefangen bei Handy und Lippenstift über alte Hustenbonbons und Aspirin bis hin zu bequemen Ersatzschuhen für den Nachhauseweg gibt es darin nichts, was nicht – nach einigem Suchen natürlich – lässig über der Schulter baumeln würde. Bei manchen Frauen würde es mich nicht mal wundern, wenn sie auf Nachfrage auch lebende Kaninchen aus Ihrer Tasche zaubern könnten.

Zugegeben: das passiert recht selten. Öfter dagegen werden plötzlich Männer durch die mit Reißverschluss gesicherte Taschenöffnung gezerrt. Unerwartet und selten passend werden sie ans Licht gezerrt und dem geneigten Zuschauer präsentiert. Konkret denke ich da an die Spezies “Freund”, die ganz ähnlich dem Zauberkaninchen oft unerwartet, eigentlich immer aber im falschen Moment hervor gezogen wird.

Es ist schon eine Weile her, da habe ich eine Frau kennengelernt. Intelligent, sympathisch, sie verstand meinen Humor – kurz: ein ziemlich großartiges Wesen. Auch sie schien mich zumindest sympathisch zu finden, ja, eine Weile hatte ich sogar das Gefühl, als würde sie mich ziemlich mögen.

Dem war vielleicht sogar so. Dennoch entpuppte sich die Situation recht schnell als pointenlos, nachdem sie ihn aus der Tasche zerrte: der Freund. Ich habe keine Ahnung, wer er ist, oder warum er so plötzlich den Weg durch die schmale Öffnung nach draußen fand. Im Endeffekt muss ich wohl froh sein, dass es so frühzeitig war. So wusste ich wenigstens, woran ich war. Trotzdem hat er mich zum denken gebracht, auch wenn, zugegeben, er einer der letzten wäre, dem ich dieses Privileg freiwillig eingeräumt hätte.

Ich fahre morgens normalerweise mit der U-Bahn zur Arbeit. Begleitet von den unterschiedlichsten Menschen lese ich, während der Zug mich von A nach B bringt. Hin und wieder sehe ich auf, um mich zu vergewissern, dass ich noch noch nicht zu weit gefahren bin. Manchmal bleibt mein Blick statt am Stationsschild aber auch an der einen oder anderen Mitfahrerin hängen. Vielleicht gefällt mir Ihr Lächeln oder irgendwas an ihren Haaren. Vielleicht auch einfach so, weil sie eben anguckenswert aussieht.

Leider haben fast alle dieser Frauen Handtaschen dabei, und wenn ich genau hingucke, sehe ich, wie der Reißverschluss leise zittert. Es ist offensichtlich: er wartet nur darauf, endlich befreit zu werden.

Ob es am Alter liegt? Ist man mit 28 einfach nicht mehr auf der Suche?
Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Auf Dauer macht es allerdings müde, bei jeder interessanten Begegnung und meist noch, bevor man überhaupt selber auch nur über einen Sprung in die Tasche nachgedacht hat, über ihn zu stolpern. Gibt es denn keine Frauen mehr, denen Lippenstift und Kaninchen reichen – zumindest bis sie mich getroffen haben?

In diesem Sinne, hoch die Taschen!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

3 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Hallo Felix!

    Dieser Post gefällt mir besonders gut! Eine Mischung aus Absurdem und Wahrem, sowas find ich klasse!

    Lieben Gruß vom Julchen
    die übrigens gar keine Handtasche hat B-)

  2. Der Vorzeige-Freund als Kistenteufel aus der Handtasche… Klasse!

    Bin leider zu müde, mich anzumelden, deswegen ein anonymer Dank, werde aber wohl häufiger hier vorbeikommen…

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