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Appin lukin

Die Erste war tatsächlich noch aus Vinyl: David Hasselhoff, “Crazy for You”. So hieß meine erste Musiksingle. Vermutlich lagert sie heute irgendwo im Keller meiner Eltern. Die hatten mir die Schallplatte damals zum Geburtstag geschenkt. Dabei hatte ich mir doch eigentlich  “I’ve been looking for freedom” (“Appin lukin for fridum”) gewünscht. Mit dem Lied hatte der Knight-Rider-Schauspieler Hasselhoff ein Jahr zuvor die Hitparaden gestürmt und mich, der sonst mit Hörspielen eigentlich ganz glücklich gewesen war, über Nacht zum Musikfan gemacht.

“Crazy for You” war Hasselhoffs neuester Hit. Ich nehme an, dass der Plattenverkäufer meinen Eltern deshalb diese Single empfohlen hatte. Unmöglich, wird er gedacht haben, dass ich “Looking for freedom” nicht ohnehin schon im Schrank stehen hatte.

Wenn ich heute an die Anfänge meiner Pubertät zurückdenke, sehe ich mich im Wohnzimmer auf dem Boden liegen. Auf den Ohren habe ich die Kopfhörer, die mein Vater zusammen mit seiner nagelneuen Pioneer-Musikanlage gekauft hatte. Sündhaft teure Dinger, die mit einem dicken 6,35 Millimeter-Klinkenstecker mit dem Verstärker verbunden wurden und mit großer Vorsicht behandelt werden mussten.

David Hasselhoff war zu dieser Zeit musikalisch kein Thema mehr. Statt dessen joggte er mit einer roten Rettungsboje den Strand Malibus entlang. “Baywatch” war noch viel erfolgreicher als es “Knight Rider” je gewesen war.

Auch Schallplatten gab es eigentlich keine mehr. Statt dessen hatte die CD ihren Siegeszug angetreten und war gerade dabei, die Kassette als Tonträger zu verdrängen. Und weil der einzige CD-Player der Familie nun einmal meinem Vater gehörte, blieb mir nichts anderes übrig, als meine Musik im Wohnzimmer zu hören. Denn Musik musste sein – kein Weltschmerz ohne passenden Soundtrack!

Das war wohl der Grund, warum nicht nur ich, sondern auch alle meine Freunde sich zur Konfirmation sehnsüchtig vor allem eines wünschten: eine eigene Stereo-Anlage. Die hatte im Idealfall nicht nur einen eigenen CD-Player, sondern auch ein Doppel-Kassettendeck. Dann nämlich konnte man nicht nur alle seine Lieblings-CDs in eine Walkman-kompatible Form überführen. Außerdem konnte man endlich eins-zu-eins-Kopien von den Lieblingstapes seiner Freunde machen. Oder Mix-Tapes für für das hübsche Mädchen aus der Parallelklasse aufnehmen, die man am Ende doch nie verschenken würde, weil man dafür ja miteinander sprechen müsste.

Musik war für ich in dieser Zeit viel mehr als nur ein Hintergrundrauschen. Der richtige Song zum richtigen Zeitpunkt war wie ein gutes Gespräch, das einem neues Selbstbewusstsein geben konnte. Ich erinnere mich daran, wie ich abends eine Musikkassette zu einem bestimmten Lied vorgespult habe, nur um es morgens vor dem aus-dem-Haus-Gehen hören zu können. Zu wissen, was gerade in den Bravo-Charts auf Platz 1 stand, war genauso wichtig, wie die richtige Turnschuhmarke zu tragen. Zu ahnen, wer erst in ein paar Wochen auf Platz 1 landen würde, war sogar noch besser.

Ich erinnere mich daran, wie ich an manchen Nachmittagen nur deshalb 20 Minuten mit dem Bus in die Stadt gefahren bin, um mir der gefühlt riesigen Saturn-CD-Abteilung die Neuerscheinungen anzuhören und zu schauen. Ein Album kostete damals typischerweise 32,99 DM, Singles waren für um die 10 DM zu haben.

Heute kauft kaum jemand mehr ganze Alben. Musik kommt aus der Cloud, und auch Stereo-Anlagen wie ich sie damals kannte, sind eher selten. Schon der Begriff “Stereo” wirkt wie ein Anachronismus, weil kaum jemand sich Gedanken darüber macht, dass Musik auch “mono” sein kann. Das Handy hat nicht nur den Walkman längst abgelöst, sondern inzwischen sogar Apples einstigem Nummer-1-Zugpferd, dem iPod, den Todesstoß versetzt. Schon 2014 hat der Konzern die Produktion des mobilen Musikspielers eingestellt, im Sommer dieses Jahres folgten die kleinen Geschwister iPod nano und iPod shuffle.

Ich höre trotzdem noch gerne Musik. Dass ich dafür nicht mehr auf dem Wohnzimmerboden meiner Eltern liegen muss, ist recht praktisch. Allerdings ist Musik längst nicht mehr so omnipräsent, wie sie während meiner Pubertät war. Meine Stereoanlage allerdings habe ich noch. Nur steht die wie die Hasselhoff-Single – irgendwo im Keller meiner Eltern.

In diesem Sinne, was ich heute so höre poste ich übrigens mehr oder minder regelmäßig in der Rubrik Kopfkonzert …

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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