Gedankenwelten

Freundschaft

Ich habe keine Ahnung, was Dino jetzt macht. Er müsste heute so um die 30 sein. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mal, ob Dino wirklich Dino heißt, oder ob das nur irgendein Spitzname war. Wir haben den geheimen Baum bezwungen und waren mit dem Kajak seiner Eltern auf dem Keutschacher See paddeln. Mehr als 20 Jahre muss das jetzt her sein. Würde ich Dino auf der Straße über den Weg laufen, ich würde ihn nicht erkennen. Beste Freunde waren wir trotzdem, genau einen Österreich-Urlaub lang.

Wenn ich so alle beste Freunde/innen zusammen zähle, die ich bisher in meinem Leben gehabt habe, komme ich schnell auf eine recht hohe zweistellige Zahl. Nicht etwa, weil ich so ein unglaublich kommunikativer oder schnelllebiger Mensch bin. Im Gegenteil, ich glaube, ich wirke am Anfang eher unnahbar. Wirklich Freundschaft mit mir zu schließen ist keine einfache Aufgabe. Einige haben es geschafft. Doch wer davon wird bleiben?

Ich habe in meinem Leben so viele Menschen kennengelernt, denen ich mich wirklich nahe gefühlt habe. Bei einigen hat sich dieses Gefühl über Jahre, bei anderen erst in den letzten Monaten entwickelt und bei wieder anderen habe und hatte ich es schon immer und von Anfang an. Beste Freunde – manchmal scheint es wie ein Prädikat, das mit dem Alter und nicht zuletzt der modernen Arbeitswelt an Bedeutung verloren zu haben scheint. So frustrierend es klingt, ich habe mittlerweile das Gefühl, als würde ein Großteil der wirklich wichtigen Freundschaften weniger durch die Person, sondern die durch die Situation bestimmt.

Je nachdem wen wir wo, wann und wie treffen, wird dieser guter Freund – oder eben nicht. In einer Welt, in der wir gezwungen sind, unsere Flexibilität durch die Bereitschaft zum permanenten Ortswechsel und die Arbeit in immer neuen Teams zu beweisen, scheint selbst der beste Freund austauschbar, variabel je nach Situation und Einsatzort.

Ich wehre mich gegen diesen Gedanken. Ich glaube nicht, dass ich Dino jemals wieder sehen werde. Ich leide nicht deswegen. Trotzdem denke ich, dass der wahre Freund gerade bei der vermeintlich unendlichen Flexibilität der Neuzeit wichtiger ist denn je.

Und tatsächlich wird eines der Highlights diese Weihnachten für mich sicherlich das Bier mit meinem besten Freund sein, den ich fast ein Jahr nicht gesehen habe. Wir werden uns in derselben unspektakulären Kneipe treffen, in der wir uns schon Jahre zuvor getroffen haben. Wir werden völlig belanglose Gespräche führen und am Ende viel betrunkener als geplant wieder auseinander gehen. Ich freue mich schon seit Monaten darauf.

In diesem Sinne, bis bald lieber B.!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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