Reisewelten Zeitreisen

The Beach

Es gibt diese Momente, da sieht man in einer Minute plötzlich 13 Jahre vor sich. Das heißt, eigentlich sieht man sie hinter sich. Auslöser kann ein Bild sein, ein bestimmter Song oder ein sogar Geruch. Bei mir war es heute ein Film. “The Beach” schlug Netflix mir vor, als ich genug von meinem Hörbuch hatte und nach etwas Unterhaltung für die restlichen 40 Minuten auf dem Crosstrainer suchte.

Schon während der ersten Szenen, in denen Protagonist Richard kurz nach seiner Ankunft übermüdet durch Bangkok streift, Schlangenblut trinkt und irgendwann in einem Hostel landet, war ich nicht mehr im Fitnessstudio. Ich war in Thailand, sah mich auf einem Plastikstuhl in irgendeinem der unzähligen kleinen Restaurants in der Soi Rambuttri sitzen und viel zu scharfen thailändischen Rindfleischsalat essen. Vor allem aber sah ich, wie viel Zeit seitdem vergangen ist.

13 Jahre ist es her, dass ich meinen Rucksack gepackt habe und zum Flughafen gefahren bin. Ich hatte damals gerade mein erstes Studium beendet und, um das nötige Kleingeld zu verdienen, für ein paar Monate gejobbt. Am 1. November ging mein Flug. Von Düsseldorf über London und Sao Paulo nach Buenos Aires, dem Startpunkt meiner Weltreise, deren letzte Station Thailand gewesen war.

Lange war diese Reise in meinem Denken sehr präsent. In meiner Wohnung in Berlin, die ich ein halbes Jahr nach meiner Rückkehr bezog, pinnte ich einige der Fotos von der Reise an die Küchenwand, direkt gegenüber von meinem Esstisch. Die Reiseführer, mit denen ich meine Tour geplant hatte, standen ganz oben in meinem Bücherregal. Manchmal, wenn das Fernweh besonders schmerzte, nahm ich sie wieder in die Hand und blätterte mich sehnsüchtig durch die besuchten Orte.

Als ich aus Berlin wegzog, war die Weltreise vier Jahre her. Ich wohnte erst ein halbes Jahr in Ravensburg, dann kurz in Radolfzell und etwas länger in Konstanz am Bodensee. Bei meinem Umzug nach Karlsruhe knapp zwei Jahre später war die Weltreise bereits sechs Jahre her. Die Fotoalben von damals – ja, die sind tatsächlich noch analog – kamen nicht direkt mit, sondern blieben übergangsweise im Keller meiner Eltern. Ich holte sie allerdings irgendwann nach. Hin und wieder blättere ich gerne darin.

Ich bin nicht sicher, ob ich den Film “The Beach” vor oder erst nach der Weltreise gesehen habe. Das gleichnamige Buch von Alex Garland hatte ich definitiv vorher gelesen, quasi zur Vorbereitung. Trotzdem erinnert mich der Film jedes Mal an meine eigene Tour. Gerade am Anfang zeigt er genau das, was ich in Bangkok auf der Thannon Khao San, in Surat Thani oder auf Ko Samui selbst erlebt und gesehen habe.

Heute allerdings erinnert er mich vor allem an das, was ich nicht gesehen habe. Weder im Buch (erschienen 1996) noch im Film (aus dem Jahr 2000) gibt es Smartphones. Es gibt kein Internet und nirgendwo drücken Reisende auf ihren iPads herum, während sie auf Plastikstühlen sitzen und scharfen Rindfleischsalat essen. Es existierten kein “Free WLAN”-Schilder. Statt dessen warben die Restaurant mit Filmtiteln. Je aktueller und exklusiver diese Filmtitel waren, die ab dem frühen Nachmittag und bis in den späten Abend gezeigt wurden, desto besser besucht war das Lokal. Ob es sich bei den gezeigten Videos um Originale oder (schlechte) Raubkopien handelte, war zweitrangig.

Heute dürfte das anders sein. Vermutlich würde ich Bangkok nicht einmal wiedererkennen. Mehr noch: Ich würde auch nicht noch einmal auf dem selben Flughafen landen, denn kurz nach meiner Reise damals nahm der neue Flughafen Bangkok-Suvarnabhumi seinen Betrieb auf. Alle internationalen Flüge landen nun hier. Und – let’s face ist – mit einem Film kann heutzutage kein Restaurant mehr einen Backpacker locken.

An all das dachte ich, während ich die ersten Szenen von “The Beach” schaute. Der Film hatte für mich eine bestimmte Erinnerung konserviert. Nie hatte ich darüber nachgedacht, dass der Film und damit meine Erinnerung irgendwann veraltet sein könnte. Dabei ist genau das schon vor Jahren geschehen.

In diesem Sinne, das Foto oben zeigt mich übrigens bei der Überfahrt von Surat Thani nach Ko Samui vor 13 Jahren …

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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