Zeitreisen

Letztmalig

Eigentlich tun wir es ständig, nur merken wir es oft nicht. Oder es ist uns egal. Dann wieder nehmen wir es uns sogar bewusst vor, freilich ohne immer Erfolg damit zu haben. Manchmal wird es uns auch erst Wochen oder gar Monate später klar: dass wir gerade etwas zum (vorerst) letzten Mal getan haben. 

Als Kind habe ich mit meinen Eltern einige Jahre lang immer wieder Urlaub auf einem Campingplatz an einem See in Österreich gemacht. Ich fand das großartig. Meine Schwester und ich konnten uns auf dem weitläufigen Gelände frei bewegen, meine Eltern dagegen hatten Ruhe, all die Bücher zu lesen, für die sie sonst keine Zeit hatten. Drei, vier Mal am Tag ging es zum Schwimmen an den See und abends zum Restaurant des Campingplatzes, um den älteren Kindern an den Videospiel-Automaten zuzugucken.  

Meist sind wir drei bis vier Wochen auf dem Campingplatz geblieben. Der Termin für die Rückfahrt wurde je nach Lust, Laune und Wetter kurzfristig bestimmt. Traditionell ging es am Tag vorher noch ein letztes Mal ans Wasser. Zum Schwimmen, natürlich, und um “dem See auf Wiedersehen zu sagen” (ein gewöhnliches Abschiedsritual, kein Auswuchs besonders naturnaher Erziehung o.ä.). 

Ich fand diesen letzten Tag immer furchtbar traurig. Der Campingplatz war mein Paradies, und aus dem wollte ich nicht vertrieben werden. Auch nicht von einem Tiefdruckgebiet, dass für mehrere Tage schlechtes Wetter und Regen bringen sollte.

Was in solchen Augenblicken half, war höchstens noch der Gedanken, ja im nächsten Jahr wieder zu kommen. Eine Weile hat das auch ganz gut funktioniert. Bis wir irgendwann nicht wieder gekommen sind.

Nach x Jahren Österreich wollten meine Eltern mal etwas anderes ausprobieren. Damals fand ich das furchtbar, heute kann ich das verstehen. Wohl auch deshalb, weil ich selber älter geworden bin. Mit eben diesem älter-Werden hängt allerdings auch zusammen, dass ich nicht mehr dabei war, als meine Eltern das nächste Mal auf besagten Campingplatz nach Österreich gefahren sind. Andere Ziele und vor allem: Urlaub ohne Eltern waren auf einmal viel reizvoller. 

Vierzehn Jahre ist es her, dass ich zuletzt auf besagtem Campingplatz in Österreich war. Es gibt ihn noch, behauptet das Internet. An das letzte Schwimmen kann ich mich nicht mehr erinnern, wohl aber an das Gefühl, das ich dabei hatte. Genau mit diesem Gefühl laufe ich nämlich zur Zeit durch Berlin. 

In diesem Sinne, frohes Abschied nehmen!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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