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Kühlschrank – ganz privat

Als Anna mich das erste Mal in meiner Wohnung besucht hat, hat sie in meinen Kühlschrank geguckt – einfach so. Ich fand das schon ein wenig dreist. Ein Kühlschrank ist schließlich nicht einfach nur ein Ort, um Lebensmittel aufzubewahren. Ein Kühlschrank ist Teil der Persönlichkeit!

Es beginnt damit, dass man zu Hause auszieht und das erste Mal dauerhaft selbst dafür verantwortlich ist, was im Kühlschrank ist – und ob überhaupt etwas darin ist. Plötzlich steht man vor Fragen wie Aldi oder Rewe, Butter oder Margarine und Familienpackung oder Kleinstration.

Im Regelfall sind das keine essentiellen Fragen. Man muss die Entscheidung auch nicht ein für allemal treffen – und genau deswegen sagt unser Kühlschrank vielleicht mehr über unsere Persönlichkeit aus als manche Grundsatzentscheidung.

In Filmen schauen dauerbeschäftigte Großstadtsingles gerne aus dramaturgischen Gründen in den Kühlschrank. Die Kamera filmt die Protagonisten dann aus der Perspektive der nicht vorhandenen Lebensmittel, vorbei an einem leeren Jogurtbecher und irgendetwas Verschimmelten. Die Darsteller setzen dazu in der Regel einen überraschten bis erwartet-enttäuschten Blick auf. So als hätten sie mit einem leeren Kühlschrank zwar gerechnet, hatten aber unmöglich sicher sein können.

Statt zumindest die verschimmelten Reste zu entfernen, schließen sie den Kühlschrank anschließend wieder. Doch das ist gar nicht das Unrealistische an der dargestellten Situation. Völlig an der Wirklichkeit vorbei geht vielmehr, dass sie so tun, als wären sie überrascht, dass der Kühlschrank leer war.

Ich sage nicht, dass ein Kühlschrank seinen Besitzer nicht überraschen kann. Auch ich finde immer mal wieder Dinge, die ich aus einem spontanen Impuls heraus gekauft, in den Kühlschrank gelegt und dann vergessen habe. Zugleich habe ich aber eine ganze Reihe von Dingen, die eigentlich immer in meinem Kühlschrank liegen – tun sie es nicht, weiß ich das und sie werden sie früher oder später nachgekauft.

Dazu gehört zum Beispiel Orangensaft fürs Frühstück, Jogurt, Feta-Käse, kaltes (logisch) Bier, Pesto, Senf, Butter und einige, über die Jahre immer wieder variierende weitere Dinge. Manches davon kenne ich schon von Kindertagen an. Anderes habe ich irgendwann angefangen zu kaufen, gerade weil es fast nie im Kühlschrank meiner Eltern lag. Es gibt Sachen, die sind irgendwie nach Beziehungen hängen geblieben. Sie landen seitdem immer wieder in meinem Einkaufskorb, weil ich sie inzwischen selbst gerne esse. Wieder andere Dinge habe ich nach Nächten bei Freunden auf der Couch in mein Standard-Repertoire aufgenommen.

Wie sehr ein Kühlschrank eine Persönlichkeit widerspiegelt, zeigt sich für mich auch immer wieder dann, wenn ich meine Eltern besuche – eigentlich der einzige Ort außer meiner Wohnung, wo ich ungeniert einfach so an den Kühlschrank gehe. Über 20 Jahre war ich hier zu Hause. Stehe ich vor dem geöffneten Kühlschrank wird mir ganz deutlich bewusst, dass ich hier schon lange nicht mehr wohne.

Aus Anna und mir ist übrigens nichts geworden. Ich glaube nicht, dass es an meinem Kühlschrank lag. Zumindest nicht nur.

In diesem Sinne, viele Grüße an Annas Kühlschrank!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

3 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. ;) Süße Geschichte. Ich denke auch nicht, dass es nur an deinem Kühlschrank Inhalt lag. ABer dennoch finde ich ebenfalls, dass der Kühlrschrank etwas über einen Menschen aussagt. Nicht nur, wie gut er/sie sich versort, sondern auch womit.

    Wenn ich bei meinen ELtern zu Besuch bin, erfreue ich mich immer an den Köstlichkeiten des Kühlschrankes;) Die ELtern können sich natürlich weit mehr und schönre Dinge leisten als ein Student und auch wenn die Mutter kocht ist das immer ein Gaumenschmaus.

    Herzliche Grüße,
    Rana

  2. @Rana: Wieso finden Frauen immer alles “süß”? ;-) Trotzdem Danke für das Kompliment.

    @Anni: Hätte gar nicht gedacht, dass mein Kühlschrank sogar für ein Kunstprojekt geeignet ist ;-)

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