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Dieb!

Dass ich nicht der Einzige war, habe ich erst später erfahren. Ob es mir in der Situation geholfen hätte, weiß ich allerdings nicht. Drei Wochen war ich damals unterwegs gewesen. Über London und Sao Paulo war ich nach Buenos Aires geflogen. Gut eine Woche später war ich mit dem Bus von Buenos Aires nach Bariloche an der Nordspitze Patagoniens gefahren und von dort eine weitere Woche später in Richtung Norden nach Mendoza weitergereist.

Mendoza am Fuße der Anden ist vor allem bekannt für seinen Wein. Die dort vor allem angebaute Traubensorte nennt sich Malbec. Eigentlich eine französische Traubenart, allerdings wird sie inzwischen fast nur noch in Argentinien angebaut. Und anders als die chilenischen Weine werden die argentinischen Tropfen kaum noch exportiert.

Mendoza ist das bekannteste und nach Cafayate auch das mit Abstand größte Weinanbaugebiet Argentiniens. Außerdem ist es ein ziemliches Verbrechernest. Das gilt, wie ich leider erst zu spät erfahren habe, vor allem rund um den Busbahnhof.

Busse sind das gängigste Fortbewegungsmittel in Argentinien auf weiten Strecken. Sie sind preiswert und zugleich überaus bequem – in der “Cama” (=Bett)-Klasse ähneln sie der Businessclass im Flugzeug. Sein Gepäck allerdings trägt man ganz klassisch zum Bus, wo man es in den Kofferraum lädt und dafür einen kleinen Papierschnipsel als Bestätigung bekommt.

Auch ich wollte mein Gepäck gerade in Richtung Bus bringen, als dieser Mann an mir vorbei kam. Er war nicht wirklich dick, nicht wirklich dünn. Sein Haar war schütter, aber nicht gänzlich verschwunden. Außerdem hatte er ein Schlüsselbund in seiner Tasche, der laut klapperte, als er nur unweit von mir auf den Boden fiel. “Senor!”, rief ich, während ich den Schlüsselbund aufhob und in seine Richtung hielt, “Senor! Your keys!”.

Warum er meinen Hinweis ignorierte, wusste ich wenige Sekunden später. Noch bevor der Mann um die nächste Ecke bog, rannte ein weiterer Kerl an der Bank vorbei, auf der ich eben noch neben meinem großen Reiserucksack und meinem kleinerem Tagesrucksack gesessen hatte. Mit einem schnelle Griff packte er meinen Tagesrucksack, rannte weiter und verschwand um die nächste Ecke.

Ich hatte Glück im Unglück: zwar hatte ich gerade begonnen, alles Wichtige in den kleinen Tagesrucksack umzupacken, allerdings war ich noch lange nicht fertig damit. Sowohl meinen Pass als auch meine Kreditkarte und der größte Teil meines Bargeldes waren noch in dem großen Reiserucksack. Ebenso meine ec-Karte und meine Flugtickets. Verschwunden waren dagegen mein Reisetagebuch – der wohl schmerzlichste Verlust – und meine Brille, die ich damals allerdings nur sporadisch trug. Außerdem: gut 200 US-Dollar, eine Flasche Wein aus Mendoza, mein Reiseführer, mein Handy (ich schreibe bewusst nicht Smartphone!) und einige sonstige Kleinigkeiten.

Noch immer gerührt bin ich von zwei argentinischen Frauen, beide etwa in meinem Alter damals, die den Diebstahl beobachtet hatten. Beide halfen mir nicht nur, das Ganze der argentinischen Polizei zu erklären (die sofort eine “Fahndung” einleitete – erfolglos, aber eine nette Geste), sondern mir noch Monate später E-Mails mit Bildern aus Argentinien schickten. Auch der Polizist, bei dem ich schließlich Anzeige erstattete, war überaus hilfreich und lief, nachdem er die Anzeige aufgenommen hatte, geduldig mehrere Hotels mit mir ab, bis ich ein bezahlbares Zimmer gefunden hatte, in dem ihn die ungeplante zusätzliche Nacht in Mendoza verbringen konnte.

Mut gemacht haben mir die vielen Traveller, die ich später in Cordoba und Salta, beides nördlich von Mendoza, getroffen habe. Fast jeder schien unfreiwillig etwas in Mendoza zurückgelassen zu haben. Mal hatte jemand in der Nähe des Busbahnhofs nach der Uhrzeit gefragt, während ein Komplize zur gleichen Zeit in den Rucksack gelangt hatte. Mal war auf scheinbar unerklärliche Weise Geld aus der über dem Stuhl hängenden Jacke verschwunden. Mit anderen Worten: wenigstens war ich nicht der Einzige Dumme …

In diesem Sinne, schön war Mendoza trotzdem …

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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