Reisewelten Tresenweisheiten

Bedingt real

Mark ist 35 Jahre alt, gebürtiger Engländer und verdient als Lehrer seine Brötchen. Wie ich ist er heute Nachmittag angekommen. Wir schlafen im selben Mehrbettzimmer, das ist Anknüpfungspunkt genug, um den Abend gemeinsam mit einem Bier in der Hostelbar zu beginnen. Gemeinsam beobachten wir die Gruppe betrunkener Rugby-Spieler, die eigens für einen Junggesellenabschied nach München gekommen sind.

Außerdem treffen wir Anja. Sie ist Deutsche und sieht aus wie Bettina Böttinger. Nach einem Glas Wein verschwindet sie wieder, was nicht weiter schlimm ist. Viel zu sagen hatten wir uns nicht. Ärgerlich ist allerdings, dass es auch am nächsten Abend bei wenigen Sätzen bleibt. Gerne hätten wir uns länger unterhalten. Nicht mit Anja, sondern mit der hübschen ungarischen Freundin, die sie mitgebracht hat.

Statt dessen komme ich mit einer jungen Physiotherapeutin aus Philadelphia, USA, ins Gespräch. Wir sprechen über den Fung Wah Bus, ein von Chinesen betriebenes Busnetzwerk, das für wenig Geld Städte an der amerikanischen Ostküste verbindet. Wir hatten beide schon das Vergnügen, mit diesem durchaus eigenwilligen Transportmittel zu reisen und tauschen nun Anekdoten über die quasi-gemeinsame Erinnerung aus.

Der Abend wird lang, doch über den Weg nach Hause muss sich keiner Gedanken machen. Das Bett für die Nacht ist schließlich nur zwei Etagen höher gelegen im selben Gebäude.

Entscheidend ist jedoch etwas anderes: Anders als eine normale Bar erfindet sich die Hostelbar jeden Abend neu. Kaum einer der Gäste kommt öfter als an drei oder vier Abenden hierher, denn dann hat er oder sie die Stadt schon wieder verlassen. Gut und gerne 50 Prozent der Besucher sind allein hier. Es ist leicht, Bekanntschaften zu schließen, denn Reiseerfahrungen sind ein noch dankbareres Thema als das Wetter und Anquatschen wird hier nicht direkt mit Abschleppen assoziiert (obschon auch das in einer Hostelbar meist einfacher ist).

Das Problem: Wie das Leben mit dem Rucksack sind auch die Treffpunkte der Rucksackreisende nur bedingt real. Sie sind ein Fluchtpunkt auf Zeit, keine Alternative zum wirklichen Leben. Das gilt für die Khao San Road in Bangkok genau so wie für die Bar des Hostels in einer Nebenstraße nahe des Münchner Hauptbahnhofs. Missen möchte ich allerdings beides nicht.

In diesem Sinne, gute Reise und viel Spaß beim Träumen!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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