Mitmenschen

Aaaufguss!

Nennen wir ihn Nikos. Er hat etwas Griechisches an sich, obwohl ich ziemlich sicher bin, dass er eigentlich Deutscher ist. Nikos kommt immer am gleichen Tag und immer zur gleichen Zeit. Man kann ihn übersehen, wenn er durch das Drehkreuz am Eingang des Fitnessstudios geht. Überhören kann man ihn nicht.

“Aaaaufguss!”, ruft er meist schon, während er an den Kardio-Geräten vorbei marschiert. “Aaaaaaufguss!”, wiederholt er, bevor er an den Rückenpressen vorbei in Richtung Umkleiden läuft. Und meist ruft er es noch ein drittes Mal, bevor er endgültig dort verschwindet.

Nikos hat mir einmal erzählt, was er beruflich macht, allerdings ist das schon eine Weile her. Wenn ich mich richtig erinnere, ist er dabei viel an der frischen Luft. Nikos sieht deshalb immer aus wie jemand, der vor ein paar Tagen aus dem Urlaub zurückgekommen ist. Seine haut hat stets eine gesunde Bräune, die schon etwas verblasst ist. Allerdings redet Nikos selten über seinen Beruf, viel lieber redet er über seine Berufung: Aufgüsse. Stundenlang kann er erzählen, in welchem Verhältnis die Duftöle beigemischt werden müssen, und wie viel Wasser es für einen perfekten Aufguss braucht. Man merkt ihm an, dass er seine selbstgewählte Aufgabe ernst nimmt.

Dabei trainiert Nikos auch. Eine Stunde quält er sich jede Woche an den Geräten. Bevor er damit beginnt, macht er stets den ersten Aufguss, weitere folgen nach dem Training. Die anderen Stammgäste des Fitnessstudios wissen und schätzen das. Nikos Aufgüsse sind fast schon eine Institution, zumindest in so weit, dass er eine Woche vorher ankündigt, wenn er einmal nicht kommt kann (“Weihnachtsfeier in der Firma – da muss ich Aufguss von innen machen”).

Mich hat das Theater, das er macht, anfangs etwas genervt. Inzwischen gefällt es mir. Ich finde es sympathisch, mit welcher Hingabe er sich dieser Aufgabe widmet. Sogar dann, wenn ich eigentlich am liebsten einfach nur in der Sauna entspannen würde, ohne dass es gleich voll wird, weil jemand ruft: “Aaaaaaufguss!”

In diesem Sinne, jetzt aber ab unter die Dusche!

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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