Bücherwelten

Markisen, Morde und Moral – meine Leseliste Teil 7

Mehr Lesen! Das hatte ich mir auch für dieses Jahr wieder vorgenommen – schon um ein gutes Vorbild zu sein für meine Mädels. Stand bisher: 17 Bücher in 2023, also grob alle eineinhalb Wochen eines. Hier eine kleine Auswahl, die ich Euch gerne ans Herz legen möchte:

Jan Weiler, Der Markisenmann

Ich liebe die Art und Weise, wie Jan Weiler erzählt. Zwar habe ich sein wohl bekanntestes Buch, “Maria, ihm schmeckt’s nicht”, bis heute nicht gelesen. Es hat mich nie gereizt, vielleicht habe ich die Verfilmung zu früh gesehen. Dafür hat mich Weiler mit seiner Krimi-Reihe um Kommissar Kühn begeistert, selbst wenn der Autor selbst immer wieder betont, eigentlich gar keinen Krimi habe schreiben wollen, sondern einen Gesellschaftsroman. Aber gut, das führt an dieser Stelle zu weit.

Der Markisenmann. Ein Titel, der mich am Anfang erst abgeschreckt hat, ich weiß selbst nicht so genau, wieso. Weder Titel noch der Klappentext haben mich so richtig überzeugt. Trotzdem ging bin ich irgendwie immer wieder bei diesem Buch gelandet, wenn ich wieder Mal auf der Suche nach neuem Lesestoff war. Vielleicht ging es mir dabei ein wenig wie dem Autor selbst, der auf seiner Homepage schreibt, dass es zehn Jahre gedauert habe, bis er das Buch endlich habe fertig schreiben können. Auch mit dem Titel habe er lange gehadert, so Weiler.

Die Geschichte beginnt mit einem ziemlichen Knall: Halb aus Versehen, vielleicht auch ein bisschen mit Absicht, zündet die 15-jährige Kim bei einer Party ihren jüngeren Stiefbruder an. Statt mit der Familie in den feudalen Sommerurlaub zu fliegen, wird sie daraufhin von ihrem Stiefvater dazu verdonnert, die Ferien bei ihrem leiblichen Vater zu verbringen. Das Problem dabei: der hat sie seit 13 Jahren nicht mehr gesehen. Außerdem wohnt er in einer Lagerhalle im Duisburger Hafen und verdient sich seinen Lebensunterhalt damit, als fahrender Händler Markisen aus alten DDR-Beständen zu verkaufen und zu installieren, lebenslange kostenlose Wartung inklusive.

Die Geschichte, die Weiler aus dieser Situation strickt, hat gleich mehrere Ebenen. Da ist einmal das offensichtliche Thema, die Beziehung zwischen Vater und Tochter, die sich über die kommenden Wochen entwickelt. Kim, die überrascht feststellt, dass dieser freundliche, ihr aber sonst fremde Mann, gar nicht erst versucht, sie zu erziehen, sondern einfach vorlebt, was er für richtig hält. Dieser wiederum lernt von seiner Tochter, dass absolute Ehrlichkeit nicht immer der Schlüssel zum Erfolg ist, vor allem, wenn man alte DDR-Markisen verkaufen möchte.

Neben den Protagonisten lässt Jan Weiler diverse weitere Figuren aufmarschieren, allesamt auf ihre Art verschroben. Diese Ruhrpott-Originale schaffen einen Mikrokosmos, in den auch Kim immer weiter eintaucht und der sie die Welt mit anderen Augen sehen lässt.

Zu guter Letzt bekommt das Buch noch eine historische Komponente, verknüpft mit einer alten Geschichte über Vertrauen, Verrat und DDR inklusive einer Erklärung für das Markisenlager, auf die ich hier nicht weiter eingehen will. Das würde den Lesespaß kaputt machen. So viel vorab: das Buch und vor allem die Vater-Figuren bekommen damit noch einmal einen neuen Dreh und eine neue Tiefe. Unbedingt lesen!

Sven Stricker, Sörensen sieht Land

Weiler und Stricker haben etwas gemeinsam: sie schreiben Krimis mit Kommissaren, die eigentlich nur bedingt für diesen Beruf geeignet sind. Kühn, dem es nicht gelingt, sein Gedankenkarussell zu stoppen und der sich damit immer wieder selbst im Weg steht, und Sörensen, dessen Angststörung ihn aus Hamburg nach Katenbüll geführt hat, wo sich ausgerechnet mit seiner Ankunft die Morde häufen – was sich, nebenbei bemerkt, ebenfalls als Thema durch alle Bände zieht. Beliebt macht es den Ruhe-Suchenden Kommissar jedenfalls nicht.

“Sörensen sieht Land” ist der vierte Teil der Krimireihe rund um Sörensen und den fiktiven Ort Katenbüll nahe Husum. Nach all dem Ärger aus den ersten drei Bänden soll es nun endlich aufwärts gehen für Katenbüll: ein großes Einkaufszentrum wird eröffnet und die Eröffnung mit einem rauschenden Fest gefeiert. Dummerweise kommt es just auf diesem Fest zu einer Amokfahrt, ein Auto rast in die Menge und tötet fünf Menschen, noch einige mehr werden schwer verletzt, darunter auch Sörensens Vater.

Der Besitzer und mutmaßliche Fahrer des Wagens: ausgerechnet der ehemalige Polizei-Praktikant und Kriminalkommissaranwärter Malte Schuster. Der kann das nicht mal abstreiten. Er kann sich nämlich an nichts erinnern.

Das Netz, das Stricker aus dieser Situation strickt, ist beeindruckend dicht. Vor allem ist es so gut wie nie nur schwarz oder weiß. Immer wenn man als Leser das Gefühl hat: so muss es gewesen sein, reißt Stricker das Ruder rum und führt auf eine neue Fährte, die dann auch wieder zu schön ist um wahr zu sein. Dass am Ende trotzdem alles Sinn ergibt und man als Leser nicht das Gefühl hat, absichtlich an der Nase herumgeführt worden zu sein, ist eine echte Leistung.

Der vierte Sörensen-Band ist der bisher beste Band der Reihe. Das liegt nicht zuletzt daran, dass selbst vermeintliche Nebenfiguren konsequent weiterentwickelt werden und an Tiefe gewinnen. Manches davon ist für die Geschichte wichtig, etwa die beginnende Demenz von einem der beiden Polizeiobermeister, anderes einfach nur Bonus für den treuen Leser. Hinzu kommt das gute Gefühl, mit Sörensen einen alten, sympathisch verschrobenen Bekannten zu treffen. Ich freue mich jedenfalls auf Band 5.

Benjamin von Stuckrad-Barre, Noch wach?

Was soll ich schreiben. Ich habe Soloalbum gemocht, fand Stuckrad-Barre dann aber irgendwann zunehmend nervig, bis er mich mit der Ehrlichkeit seines autobiografischen “Panikherz” wieder extrem positiv überrascht hat – und nebenbei Udo Lindenberg für mich in ein gänzlich neues Licht gerückt hat.

“Noch wach?” habe ich schon aus beruflichem Interesse heraus kurz nach seinem Erscheinen gelesen (gehört) und war … ich weiß auch nicht. Überrascht? Zum Teil. Etwa wenn Stuckrad-Barre seine Beziehung zu Springer-Chef Matthias Döpfner (der im Buch natürlich nur “mein Freund” genannt wird) beschreibt, und ich mir diese beiden Männer partout nicht in dieser Innigkeit vorstellen kann, die der Autor beschwört. Wenn er beschreibt, wie sie Nebeneinander im Bett liegen und Süßigkeiten essend vor sich hin sinnieren, will sich dieses Bild einfach nicht vor meinem inneren Auge abzeichnen. Da ist was schief.

Andererseits ist die Beschreibung des Systems Julian Reichelt, der in dem Buch  natürlich ebenfalls nicht so heißt, durchaus beeindruckend. So, habe ich beim Lesen oft gedacht, genau so kann sich das gut abgespielt haben.

Bleibt die Frage: muss es ausgerechnet Stuckrad-Barre, ein Mann, aufschreiben? Wieso ist es ausgerechnet der Ich-Erzähler des Buches, zu dem die Frauen reihenweise laufen, um sich vor ihm geistig zu entblößen und auf Rettung hoffen. Irgendwas passt da nicht, finde ich. Lesenswert ist das Buch freilich trotzdem – und sei es nur, um mitreden zu können.

In diesem Sinne, lest mal wieder! (Alle Leselisten gesammelt gibt es hier)

 

Journalist und Geschäftsführer eines Nachrichtenportals, Indiana Jones, Papa von zwei Töchtern, schreibt hier privat. Mag Hotelbetten, Ernest Hemingway, Berlin, Erich Kästner, Wuppertal, Schreiben mit Füller, schöne Kneipen, dicke Bücher, Fotografieren, scharfes Essen und kaltes Bier.

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